Reviewed by Daniel Vaucher, Universität Bern (daniel.vaucher@cgs.unibe.ch)
Maged Mikhail ist Professor für Geschichte an der California State University, Fullerton und der Autor von From Byzantine to Islamic Egypt: Religion, Identity, and Politics after the Arab Conquest (2014). Das vorliegende Buch zum Vermächtnis des Demetrius, Bischofs von Alexandrien von 189-232, knüpft nahtlos an den Vorgänger an. Wenngleich der Autor sich mit der antiken Kirchengeschichte bestens auskennt, so ist das Buch in erster Linie ein Buch zur koptischen und arabischen Literatur Ägyptens. In Teil I (S. 1-114) behandelt Mikhail die biographische und hagiographische Literatur zu Demetrius, die verschiedenen Redaktionsstufen und -absichten, aber auch Überlieferungsprobleme, in erster Linie die „Form" der Hagiographie zu Demetrius. In Kapitel 9 (S. 108-114), dem eigentlichen Fazit des Buches, wird die „Funktion" dieser Hagiographie und ihrer Entwicklung nachgezeichnet. Teil II (S. 115-184) bringt alle relevanten Quellen, die bislang schwer zugänglich waren, in englischer Übersetzung mit Kommentar. Wohl dem Format geschuldet ist das Fehlen der Originaltexte. Diese sind, wie Mikhail betont, ebenfalls bisweilen verstreut und kaum kritisch ediert. Die hier gelieferten Übersetzungen sind daher als Hilfen für den Leser zu verstehen, und nicht etwa als Grundlage für weitere Forschung – diese müsste erst mit grundlegender Editionsarbeit beginnen. Das Buch endet mit der Bibliographie und einem Sach-/Namensregister (S. 185-215). Das erste Kapitel gibt deutlich das Grundproblem und damit das Programm für The Legacy of Demetrius vor: Entgegen der äusserst geringen Bedeutung des Demetrius in der patristischen Literatur (und der Forschung) genoss der Bischof eine gewaltige Popularität bei den ägyptischen Christen ab dem 9./10. Jahrhundert. Mikhail verfolgt mit der Analyse des literarischen Dossiers von der Antike bis zur arabischen Literatur vier Ziele (S. 5 f.): erstens die historische Persönlichkeit des Demetrius zu umreissen; zweitens die Entwicklungen im literarischen Dossier nachzuzeichnen; drittens diese Entwicklungen im Zuge der Identitätsbildung vom 11. bis 14. Jahrhundert zu verstehen; viertens diese Veränderungen als apologetische Mittel in konfessionellen Rivalitäten zwischen Kopten und Melkiten zu interpretieren. Damit nimmt Mikhail sein Fazit vorweg. Die untersuchten Texte sind weniger zur historischen Figur Demetrius von Bedeutung, sondern als Spiegel für die Gemeinden und Kreise, in denen die Texte redigiert, kompiliert oder korrigiert wurden. Auf dieser Grundlage sind die Quellen ins Auge zu fassen, die der Autor ab Kap. 2 ausführlich bespricht. Die früheste patristische Tradition in Griechisch bzw. Latein ist sehr spärlich (Euseb, Hieronymus, später Photius). Demetrius ist hier trotz seiner langen Amtszeit als alexandrinischer Bischof und seiner Rolle im Streit um Origenes kaum von Bedeutung. Selbst sein Vorgehen gegen Origenes hat sich kaum in den Quellen niedergeschlagen, und seine Briefe sind verloren.1 Von Bedeutung ist Demetrius erst in einem anonymen, koptischen Encomion (EncDem), das Mikhail entgegen der früheren Forschung, die darin eine spätantike Quelle sah, anhand literarischer Motive ins 10. Jahrhundert datiert (S. 32 ff.). Nach dieser zweiten Redaktionsphase unterscheidet Mikhail weiter eine dritte „frühe arabische" Phase mit der Alexandrinischen Patriarchengeschichte2 (HP) sowie eine vierte „späte arabische / bohairische" Phase. Immer wieder betont der Autor, wie Textbausteine kompiliert und umgeschrieben werden und so verschiedene Redaktionsstufen durchlaufen. Beispielsweise liegt dem EncDem Eusebs Kirchengeschichte zugrunde – in einer radikalen Umschreibung – und der HP unter anderem EncDem und Euseb selbst.3 Mikhail bezeichnet dieses Phänomen als „living texts" (S. 69)4 – ein Phänomen, das an der Basis seines Buches steht. Von grosser Bedeutung für Mikhails Argumentation ist weiter, das koptische EncDem und die arabische HP nicht als Biographie, sondern als Hagiographie zu verstehen. Der Autor bespricht zwar mögliche historische Wurzeln, arbeitet aber vielmehr die Topoi heraus, die EncDem und HP kennzeichnen und mit der Figur des Origenes in Eusebs Kirchengeschichte verbinden: namentlich das Martyrium, die sexuelle Enthaltsamkeit und die Gelehrsamkeit. Die Texte seien anhand dieser Motive deutlich als Apologie für Demetrius zu lesen, die mit den Topoi aus Eusebs Kirchengeschichte versehen wird. EncDem und HP würden mit ihren Vorlagen spielen, sie aber gezielt umschreiben, um Origenes' Gegenspieler Demetrius in ein gutes Licht zu rücken. Die Analyse der drei Motive, die an der Basis von Mikhails Argumentation stehen, bleibt dabei leider etwas knapp: Das Martyrium wird Demetrius auch in der Hagiographie verwehrt, er erleidet gerademal den Exiltod; die Gelehrsamkeit ist in EncDem noch nicht thematisiert, erst in HP wird aus einem scheinbar ungebildeten und analphabetischen Bauern durch ein himmlisches Wunder ein Gelehrter; und die sexuelle Enthaltsamkeit (im Fall des Demetrius eine keusche Ehe) wird als Zeichen für Selbstkontrolle und Askese aufgefasst. Dabei wird der Themenkomplex der Askese nicht weiter ausgeführt und nur auf die sexuelle Enthaltsamkeit reduziert („he is every bit the ascetic Origen was – even greater.", S. 64. Hingegen wird die „rigorous askesis" des Origenes, S. 62, eben nicht nur darauf reduziert). Mikhails These, EncDem und HP seien hier als „apologetic counternarratives" zu lesen, ist anregend und durchaus plausibel, hätte aber noch einer gründlicheren Beweisführung bedurft. Diese Knappheit in der Beweisführung zeigt sich auch an anderen Stellen, so beispielsweise im Schlusskapitel. Mikhail spricht sich gegen vereinfachende Kategorisierungen aus wie schismatische „Egyptian natives" (Kopten) vs. „authentische Byzantiner" (Melkiten). Die Kategorien seien viel flüssiger und weniger scharf getrennt: „The Melkites were every bit as „Egyptian" as the Copts (…) The schism was largely theological, not „ethnic" or political." (S. 109). Diese Überlegungen werden durch einzelne Aspekte des Buches beleuchtet, beispielsweise durch die verschiedenen Fastenpraktiken (Kap. 8); in den Anmerkungen findet man aber schlicht den Verweis auf Mikhails letzte Monographie.5 Damit wird für die Lektüre von The Legacy of Demetrius vieles verkürzt oder vorausgesetzt, was für den Leser, der nicht beide Monographien parallel lesen will, weiter hätte ausgeführt werden dürfen. Dennoch sind Mikhails Analyse und Fazit schlüssig: nach dem in Chalkedon 451 hervorgerufenen Schisma wurden die Patriarchen zu „Identitätsmarkern" und „confessional symbols" in Bekenntnisfragen. Unter islamischer Herrschaft wurden sie gleichzeitig die weltlichen Führer der religiösen Minderheiten. Daher stamme der Fokus der ägyptischen Literatur auf die Patriarchen, angefangen im 5. Jh. mit der HEpA. Eine konstruierte Verbindungslinie der eigenen Konfession zu früheren Patriarchen konnte möglicherweise deviante Praktiken (bsp. Kap. 8: Fastenpraktiken) legitimieren. Dabei boten sich Alexandriens Bischöfe aus vor-chalkedonischer Zeit umso eher an, insbesondere weil zu Demetrius aus patristischer Zeit nicht mehr viel bekannt war. Demetrius war wie ein leeres Gefäss, das aufgefüllt werden konnte, um der eigenen Konfession eine Identität und vermeintliche Orthodoxie zu verleihen. Damit steht fest, dass das literarische Dossier zu Demetrius wenig über dessen Person aussagt. Besser sei es, das hagiographische Dossier als Palimpsest mit verschiedenen Ebenen von Komposition, Redaktion und Widersprüchen zu verstehen. Aufgrund dieses innovativen Ansatzes und eines souveränen Umgangs mit den Quellen ist Mikhails Buch als sehr gelungen zu bewerten. Seine Dekonstruktion von hagiographischen Legenden und Motiven, gepaart mit seiner Analyse verschiedener Redaktionsstufen, müsste einen neuen Standard für die Erforschung hagiographischer Texte setzen. Dass der Leser am Ende weniger über Demetrius gelernt hat als über den korrekten methodischen Umgang mit der Hagiographie, dürfte ebenfalls als Erfolg gewertet werden. Ein kleiner Wermutstropfen allein ist, dass dabei die Auseinandersetzung mit der Forschung grösstenteils fehlt und Mikhail in erster Linie mit den Quellen selbst arbeitet.6 Diese Kürze ist, wie oben dargelegt, dem ganzen Buch anzukreiden; mit 215 Seiten ist The Legacy of Demetrius nicht gerade zu lang geraten, und vielerorts hätte sich der Rezensent weitere Ausführungen erhofft. Dies spricht aber wiederum für den Inhalt und die hohe Qualität des Buches.
Notes:
1. Vgl. A. Harnack, Die Überlieferung und der Bestand der altchristlichen Litteratur bis Eusebius. Leipzig 1893, S. 330-332.
2. B. T. A. Evetts, History of the Patriarchs of the Coptic Church of Alexandria, Paris 1904–1915.
3. Öfters erwähnt Mikhail als mögliche Quelle für den zweiten Teil der HP die Histories of the Church of Alexandria bzw. Histories of the Episcopate of Alexandria (HEpA). Dieser Zusammenhang bleibt leider unausgeführt. Neue Zusammenhänge könnten sich hier aus der Entdeckung und Edition einer äthiopischen Fassung von HEpA ergeben, s. A. Bausi / A. Camplani, The History of the Episcopate of Alexandria (HEpA): Editio minor of the fragments preserved in the Aksumite collection and in the Codex Veronensis LX (58), in: Adamantius 22 (2016), S. 249-302.
4. Dasselbe Konzept wurde bezüglich der antiken Kirchenordnungen ausführlich besprochen, s. zur „living literature" bsp. P.F. Bradshaw, Ancient Church Orders, Milton Keynes 2015, S. 27 ff.; D. Vaucher, Sklaverei in Norm und Praxis. Die frühchristlichen Kirchenordnungen, Hildesheim 2017, S. 58 ff. (im Druck).
5. From Byzantine to Islamic Egypt: Religion, Identity, and Politics after the Arab Conquest, London 2014.
6. Eine Auseinandersetzung mit der Forschung zur Hagiographie fehlt – abgesehen von jener zu Eusebs vermeintlich hagiographischem Programm zu Origenes – völlig; nicht einmal das zentrale Werk von H. Delehaye, Les légéndes hagiographiques, Bruxelles 1906 wird genannt. S. dazu auch T.D. Barnes, Early Christian hagiography and Roman history, Tübingen 2016.
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