Reviewed by Michael Grünbart, Institut für Byzantinistik und Neogräzistik (gruenbart@uni-muenster.de)
Der neu edierte Text gehört zu den wichtigsten historiographischen Quellen der mittelbyzantinischen Zeit, welche konventionell als Fortsetzung der Chronik des Theophanes bezeichnet wird.1 Theophanes erfreut sich derzeit intensiverer Erforschung, wie ein gleichzeitig erschienener Sammelband zeigt.2 Die Chronographie des sogenannten Theophanes continuatus (ThCont) (bzw. der Scriptores post Theophanem) ist in einer einzigen byzantinischen Handschrift überliefert (Vaticanus graecus 167, datiert ins 11. Jh. [= V]; der Vaticanus Barberinianus 232 stellt eine Abschrift aus dem ersten Drittel des 17. Jh.s dar) und beginnt mit den Ereignissen ab dem Jahre 813; sie schließt an die Chronik des Theophanes (752–813) an. Die genannte Hs. enthält drei voneinander unabhängige Texte (I–III). Text I legen nun Michael Featherstone und Juan Signes nach einer gut zehnjährigen Zusammenarbeit in einer Neuedition samt einer Übertragung ins Englische vor. Sie ersetzen damit die Ausgabe von 1838 (Immanuel Bekker). Text I der Hs. besteht aus 4 Büchern, welche die Regierungszeiten der Kaiser Leon V. (813–820), Michael II. (820–829), Theophilos (829–842) und Michael III. (842–867) umfassen. Es geht also um die Periode zwischen dem Ausklang des sogenannten Ikonoklasmus und der beginnenden Stabilisierung und Expansion des byzantinischen Reiches im neunten Jahrhundert. Text II der Hs. wurde von Ihor Ševčenko als 42. Band des Corpus Fontium Historiae Byzantinae im Jahre 2011 (!) postum publiziert. Text III der Hs. reicht von der Regierungszeit Kaiser Leons VI. (887–912) bis zur Herrschaft Romanos' II. (959–963), endet aber abrupt mit der Darstellung der Ereignisse des Jahres 961. Dieser Text besteht wiederum aus zwei Teilen, wobei einmal eine der Dynastie der Makedonen gegenüber kritische Haltung, das andere Mal eine makedonenfreundliche Position eingenommen wird. Der einzige Überlieferungsträger wurde im Laufe des 12. Jahrhunderts mit Scholien (in so genannter epigraphischer Auszeichnungsmajuskel geschrieben) versehen (diskutiert in Kapitel „2. The Manuscripts", S. 5*–9*); es werden Namen und Dinge annotiert, manchmal findet man auch Datumsangaben; der Sinn dieser „reading habits" (S. 8*) erschließt sich den modernen Rezipienten nicht endgültig, da es oft zu Konfusionen bei den Angaben kommt und auch die Intention der Annotationen nicht kohärent erkennbar ist. Vielleicht dienten sie zur Erleichterung von Exzerpierarbeiten. Hinter einem Großteil dieses Sammelwerkes stand Konstantin VII. Porphyrogennetos (Kaiser von 945–959), welcher als Initiator von enzyklopädischen Aktivitäten auftrat. Zudem verfasste er das Prooimion zu Text II (Vita Basilii). Welche Autoren aus der Umgebung des purpurgeborenen Kaisers konkret die Kompilations- und Kompositionsarbeiten vornahmen, kann nicht endgültig erschlossen werden.3 Auch der spätere Historiograph Georgios Skylitzes, der sowohl Text I als auch die Kaisergeschichten des Genesios benutzt, trägt mit seiner Aussage, dass Ioseph, Genesios und Manuel seine Vorgänger seien, wenig zur Klärung der Autorschaft bei. Juan Signes hat als erster darauf hingewiesen, dass Genesios nicht als Familienname, sondern als Vorname zu verstehen ist, womit Ioseph Genesios als Autor ausscheidet (Skylitzes unterschlägt nämlich niemals den bestimmten Artikel vor einem Familiennamen). Die Texte I und II stellen eine Innovation bzw. Neuorientierung in der historischen Darstellungsweise dar: Man wandte sich von der chronistischen Präsentation der Fakten, wie sie noch im siebten und achten Jahrhundert üblich war, ab und legte vor allem auf einen eleganteren Stil Wert (S. 14*). Text III hingegen ist einfacher komponiert und eher chronistisch angelegt. Dieser Abschnitt reicht bis zum Aufstieg des Bardas Phokas, der Protegé des Basileios parakoimomenos, des unehelichen Sohnes von Romanos Lakapenos, war. ThCont wirkte auch auf die nachfolgenden Historiographen, was in Kapitel 5 (Receptionåå; John Skylitzes [and Ps-Symeon]) thematisiert und anhand von Parallelstellen analysiert wird (S. 20*–26*). Im 6. Kapitel rekonstruieren die Editoren die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen ThCont und den Geschichtsschreibern des 10. Jh. („Proposed Stemma, Including Sources and Adaptions"); es werden also Quellenforschung und Textkritik kombiniert (Hybridstemma auf S. 28*). Vor allem die sogenannte Logothetenchronik weist an mehreren Stellen Verbindungen zu ThCont auf. Im 7. Kapitel („The Present Edition") werden die Prinzipien der Edition erläutert, wobei das Herausgeberteam nicht immer der Punktation der Handschrift folgt (welche aber auch nicht im kritischen Apparat vermerkt wird), sondern diese dem modernen (Lese-)Verständnis geschuldet verändert (S. 29*–30*). Damit entschieden sie sich gegen den derzeitigen Trend in den Editionswissenschaften, besonders auf die Satzzeichensetzung in den Überlieferungsträgern zu achten. Diese ließe auch Rückschlüsse auf die rhythmische Gestaltung des Prosatextes zu; die Klauseln in diesem Text folgen—nach einigen Stichproben—den üblichen Mustern rhetorisierter Texte. Eigenheiten der handschriftlichen Überlieferung bzw. der Textausgaben werden im kritischen (negativen) Apparat notiert (z.B. S. 144.27 οὔ μεν οὖν in V; in der Edition: οὐμενοῦν). Die Chronographie des ThCont liegt nun—die Chronik des Theophanes wurde schon 1997 von Cyril Mango und Roger Scott übertragen—in einer gut lesbaren englischen Gesamtübersetzung vor. Einige Minima: Leserfreundlicher wäre es, die termini technici in kursiver Schrift wiederzugeben. Warum wird cesar (sic) für kaisar verwendet (z.B. IV 26.3; IV 40.17)? In der Passage IV 6.28 (S. 220, 28) ... καὶ λίαν εὐγενοῦς καταγόμενος σειρᾶς „nor descended from some obscure race" schlage ich vor, anstelle von „race" „lineage" zu verwenden (wie bei III 19.13 ἐκ βασιλικῆς σειρᾶς Περσῶν). Als Michael II. den Ruderer des kaiserlichen Dromon (hier wünschte man sich in der Übersetzung einen erklärenden Zusatz) Basilikinos zum Kaiserkollegen macht, spricht er zumindest 3 Zwölfsilberverse. Der erste lautet: πρῶτον μὲν εἶδος ἄξιον τυραννίδος (IV 44.17 ), was die Editoren mit „Firstly, his form is Monarchy's due" übersetzen. Die Wahl des Wortes „Monarchie" für tyrannis ist nicht glücklich (im Index ist diese Stelle nicht s.v. tyrannis angeführt, aber dafür eine andere: τυραννίδος ἐπίθεσιν μελετῶν, die mit „plotting to usurp power" wiedergegeben wird (I 21.23)—kurzum, man könnte „tyranny" ruhig in den englischen Text nehmen. Im griechischen Text sind keine störenden Druckfehler auszumachen, im Übersetzungstext fallen ‚porphryry' (S. 203) und ‚prophyry' (S. 209) auf. Der Band wird von den in der Editionsreihe üblichen Indices beschlossen: Index nominum proprium (Kleinigkeiten: S. 306 urb54s; Ἀριστητήριον legendum; Στέφανος ὁ Καπετωνίτης legendum); Index verborum ad res byzantinas spectantium: Hierher passt eher der Begriff Βρουμάλια; ergänzt werden sollten Wörter wie αὐλαία IV 41.15; ἐργαστήριον IV 8.10; wenn θέατρον (alphabetisch falsch eingeordnet S. 332) angeführt wird, sollten Wörter wie θεατρικόν IV 45.1 σκηνικόν IV 45.1 in dieser Abteilung nicht fehlen; λεγάτα IV 41.9; μίμησις z.B. IV 37.18; μνήμη III 8.19; μορφή legendum; ὑπόγειον IV 8.8; φιλία I 4.33, 14.10; IV 15.25; 41.9; darauf folgen ein index grammaticus und ein index locorum. Wird in der Bibliographie der Sekundärliteratur auf Vollständigkeit der Angaben geachtet, so werden die Byzantini fontes et fontes paralleli nur in Kurzzitaten (meist ohne Jahreszahlen und Ort) angeführt—das mag vor allem bei der fachfremden Leserschaft auf Unverständnis stoßen. Diese Quisquilien mindern nicht den Wert des neuen Bandes in der renommierten Editionsreihe byzantinischer Quellentexte: Bei Theophanes Continuatus steht man nun auf sicheren Beinen!
Notes:
1. H. Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner. Bd. 1, (München 1978), S. 339ff., A. Karpozelos, Βυζαντινοὶ ἱστορικοὶ καὶ χρονογράφοι, τόμος Β' (8ος – 10ος αἰ.), (Athen 2002), S. 345–366.
2. M. Jankowiak & F. Montinaro, Hgg., The Chronicle of Theophanes: sources, composition, transmission, Travaux et mémoires, 19. (Paris 2015).
3. Zum Sammeln in dieser Zeit siehe P. van Deun – C. Macé, Hgg. Encyclopedic Trends in Byzantium? : Proceedings of the International Conference Held in Leuven, 6–8 May 2009, Orientalia Lovaniensia Analecta, 212, (Leuven 2011).
Die Beobachtungen Michael Grünbarts zu Bd. 53 des CFHB sind weitgehend zutreffend, nicht jedoch seine Kritik an der Übersetzung der Stelle IV 44.17 (prōton men eidos axion tyrannidos/„Firstly, his form is Monarchy’s due“) durch die Herausgeber J.M. Featherstone und J. Signes-Codoñer. Zu ihr merkt Grünbart an, „die Wahl des Wortes ‚Monarchie‘ für tyrannis ist nicht glücklich“ und meint seinerseits (mit Blick auf die Textstelle I 21.23, wo es um Usurpation geht), „man könnte“ hier,in IV 44.17,„ ‚tyranny‘ ruhig in den englischen Text .“ Sein Vorschlag indes geht im Vergleich zu dem der Editoren völlig fehl, sollte also keinesfalls befolgt werden. Denn er übersieht, dass der Passus wörtlich auf dem Euripides (Aiolos-)Fragment Nr.15 basiert und vom Aussehen spricht, das „einer Königsherrschaft [oder anders gesagt: des Thrones] würdig“ sei. Vgl. zuletzt G.P., Ein Mann tyrannidos axios. Zur Darstellung der rebellischen Vergangenheit Michaels VIII. Palaiologos, in: Lesarten. Festschrift für Athanasios Kambylis…, hrsg. von Io. Vassis, G.S. Henrich, D.R. Reinsch. Berlin, New York 1998, 180-197, hier 196f. (mit weiteren Nachweisen).
ReplyDeleteGünter Prinzing, Mainz. email: prinzing@uni-mainz.de