Reviewed by Markus Löx, Ludwig-Maximilians-Universität (Markus.Loex@lmu.de )
Die gemeinsame Veröffentlichung der Theologin und Kirchenhistorikerin Silke-Petra Bergjan und des Historikers Beat Näf zeigt, wie wichtig und fruchtbar die Kombination aus universitärer Forschung und Lehre weiterhin bleibt, ist sie doch aus einem interdisziplinären Seminar an der Universität Zürich entstanden. Der Versuch einen „knappen Überblick" (11) des vielschichtigen kulturellen Phänomens des frühchristlichen Märtyrerkultes und dessen Rezeption vorzulegen, gelingt dem Autorenpaar auf anregende Weise über weite Strecken des Buches. Sie fragen nach den kulturgeschichtlichen Zusammenhängen der Märtyrerverehrung, der Rolle der Ausbreitung des Christentums sowie der Städte als Zentren des Märtyrerkultes, der Bedeutung des antiken Martyriumsbegriffs und der modernen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen (12). Dabei stehen die im Untertitel erwähnten „Zeugnisse" stets im Mittelpunkt des Textes. So liegt die Stärke des Buches in den zahllosen, gut ausgewählten Textstellen (spät-)antiker Autoren. Diese können vor allem Studierenden aber auch interessierten Laien, die beide mit dem Buch besonders angesprochen werden, die Lektüre der Kirchenväter, Historiker oder Märtyrerakten nahebringen. In der Einleitung und den folgenden sieben Kapiteln geben Bergjan und Näf anschaulich, facettenreich und, dank der zahlreichen Zitate unmittelbar Einblick in die frühchristliche Gedankenwelt, in der der Märtyrer immer auch alltägliches Vorbild war. Die Einleitung selbst (11–21) liefert wenig Information zum eigentlichen Thema, vielmehr steht der Gegenwartsbezug im Zentrum der Überlegungen. Neben einleuchtenden modernen Martyrien, wie sie beispielsweise während des sog. Arabischen Frühlings erlitten wurden, wirken andere Konnotationen des Begriffs „Märtyrer", doch etwas konstruiert: So erschließt sich nicht, inwieweit der Verweis auf den Selbstmord der Sängerin Amy Winehouse oder die Performances der Künstlerinnen Gina Pane und Marina Abramović für das bessere Verständnis des frühchristlichen Märtyrerkultes dienlich sein sollten. Bedauerlicher ist es aber, dass Bergjan und Näf selbst keine Begriffsdefinition liefern, sondern vielmehr mit unscharfen Vergleichen zu „Helden (des Alltags)" (14 f.) unnötige Verwirrung stiften. Im folgende Kapitel „Märtyrerverehrung in antiken und modernen Gesellschaften: Grundstrukturen – Ausprägungen – Deutungen" (23–39) wird die eigentliche thematische Einleitung nachgeliefert und dabei der Opfer- und Zeugnischarakter des Martyriums im frühen Christentum betont. Die Bedeutung des Martyriums als Zeugnis innerhalb der katholischen Theologie unterstreichen zusätzlich Zitate aus der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (lumen gentium) und dem Katechismus; gerade das Zeugnis bliebe bis in die jüngste Vergangenheit Kern eines jeden Martyriums, wie das Beispiel Dietrich Bonhoeffers veranschauliche (38). Der frühchristliche Märtyrerverehrung wird hier des weiteren als „Phänomen des Totenkultes" (23) präsentiert, wobei auch auf die Rolle des Herrscher- und Heroenkultes sowie der Person Konstantins d. Gr. für die Genese des Märtyrerkultes verwiesen wird. Komplexe Entwicklungen werden hier zeitlich gerafft bzw. zu wenig in Relation zueinander gesetzt (so steht ein Zitat Suetons einem über 250 Jahre jüngeren Gregors v. Nazianz gegenüber! S. 25) und letztlich stark vereinfacht dargestellt; dies führt im Detail zu strittigen Thesen. So hätte die postulierte Hinwendung Konstantins zum Christentum bereits im Jahre 311, die doch erst voll nach dem Sieg über Licinius im Jahre 324 zur Geltung kommt,1 oder auch der Motivation konstantinischer Kirchenstiftungen eine ihrer historischen Bedeutung angemesseneren Diskussion bedurft. Im kurzen zweiten Kapitel (41–53) wird auf pagane Vorbilder heroischer Selbstopferung (Sokrates, Lucretia) ebenso wie auf die jüdischen Wurzeln des frühchristlichen Märtyrerglaubens eingegangen. Nicht immer gelingt es Bergjan und Näf so glücklich wie im Fall der Makkabäer in einen neuen Gedanken einzuführen. Besonders die chronologischen Sprünge erschweren dem Leser die Lektüre unnötig. Das Kapitel schließt mit einem Hinweis auf die Verehrung der Apostelfürsten in Rom als Märtyrer seit dem späten 2. Jh. Das thematisch bedingt recht inhomogene dritte Kapitel (55–83) widmet sich gemäß seines Titels dem „Behauptungskampf religiöser Minderheiten". Ausgehend von verschiedenen jüdisch-römischen Konflikten über den vielzitierten Brief Plinius d. Jüngeren zum Umgang mit Christen in seiner Funktion als Richter, gehen Bergjan und Näf der Frage nach, wie der Märtyrerkult die Entwicklung des christlichen Glaubens von einer Minderheits- zu einer Mehrheitsreligion begünstigte. Nicht unerwähnt bleiben die zentralen literarischen Gattungen des frühen Christentums, die apologetischen Schriften und Märtyrerakten bzw. Passionen. Die Mehrzahl der erhaltenen Märtyrerakten stammt bekanntlich aus Nordafrika und so kommen hier auch die gängigen Vertreter, die Passio Perpetuae et Felicitatis und der früheste erhaltene Martyriumsbericht zum Tode Polykarps von Smyrna zu Wort. Ihr Zeugnis war für ihre Gemeinden oder auch für diejenigen häretischen Gruppen, die sie verehrten, identitätsstiftend; entsprechende Relevanz wurde der Unterscheidung zwischen „wahren" und „falschen" Martyrien und der „Hierarchisierung" derselben eingeräumt. Neben der Bedeutung von Einzelschicksalen betonen die Autoren zu Recht die autoritative Wirkung der Masse der Märtyrer, wie sie immer wieder in den visuellen Medien des frühen Christentums zur Geltung kommt. Den zentralen Gegenstand des vierten und gleichzeitig umfangreichsten Kapitels (85–131) stellt der urbane Charakter des Märtyrerkultes da. Hierbei rücken allerdings nicht die urbanistischen Veränderungen oder die besondere Rolle, die der städtischen Gesellschaft (Aristokratie, Klerus, Gemeinde) bei der Verbreitung des Märtyrerkultes zukam, in den Vordergrund; vielmehr stehen hier Einzelschicksale von Märtyrern im Fokus, die aufgrund ihrer Vita mit der jeweiligen Stadt besonders verbunden sind. Zu Beginn des Kapitels wird allerdings etwas überraschend die Situation auf dem Land geschildert und die Bedeutung der dort gelegenen Pilgerzentren unterstrichen. Daran anschließend legen Bergjan und Näf „Veränderungen der Vorstellung vom Martyrium und von der Märtyrerverehrung" (87) dar, die u. a. aus vorbildhaften conversiones (Augustinus, Antonius) und aus der Tatsache resultierten, dass das Christentum seit der sog. Konstantinischen Wende neuer Räume bedurfte und diese in den Kirchenbauten des 4. Jhs. erhielt. Es folgen Fallbeispiele einzelner Städte und der in ihnen verehrten Märtyrer. Angeführt wird die Reihe sinnfällig von Jerusalem, das in der Spätantike immer wieder als nicht zu übertreffender Vergleich für die anderen Städten und deren christlicher Kulttopographie dienen musste (95). Hier hätte die Möglichkeit bestanden, die besondere Rolle Jerusalems und seiner Orte der Christus-Verehrung detaillierter herauszuarbeiten; stattdessen wird von den christlichen Kultorten Jerusalems lediglich die Grabeskirche erwähnt. Als weitere Fallbeispiele wählen die Autoren die Städte Smyrna, Antiochia a. Orontes, Lyon, Karthago, Rom und Mailand. Die Wahl Smyrnas erklärt sich aus chronologischen Gesichtspunkten, stellt die Verehrung des dortigen Bischofs Polykarp doch die erste überlieferte Märtyrerverehrung dar. Ein dezidierter Bezug auf die urbane Struktur Smyrnas fehlt freilich. Der Kult des Hl. Babylas in Antiochia ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen handelt sich um die erste nachweisbare Umbettung heiliger Gebeine durch den Caesar Constantius Gallus (352–354), zum anderen wirft die Aneignung der einstmals homöischen Heiligen durch die Nizäner in anschaulicher Art und Weise Licht auf die innerkirchlichen Auseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. Das Unterkapitel zu der Märtyrergruppe aus Lyon leidet unter der Vielzahl gedanklich schlecht verbundener Details. Die Auswahl Lyons als beispielhafter westlicher Märtyrerkultort wird daher nur schwer nachvollziehbar. Unter den besprochenen Märtyrern Karthagos sticht Cyprian nicht nur in seiner überregionalen Wirkung und verehrten Grabstätte unweit des Statthalterpalastes, sondern auch aufgrund seiner Position im Umgang mit den laspi der Valerianischen Verfolgungszeit heraus. Die Bedeutung Roms für die Ausbreitung des Märtyrerkultes auf wenigen Seiten zu skizzieren, ist selbstredend schwierig. Umso mehr überrascht es, dass Bergjan und Näf gerade an dieser Stelle auf die Verwendung des Begriffs „Märtyrer" für die im Hitler-Putsch gefallenen Nationalsozialisten hinweisen (113). Das führt u. a. dazu, dass Alt-St. Peter, trotz seiner immensen Bedeutung als Pilgerziel, nur am Rande erwähnt werden kann. Im Folgenden verweist das Autorenpaar verständlicherweise auf den römischen Bischof Damasus (366–384) als essentiellen Förderer des Märtyrerkultes, auch wenn die von ihm geförderten Kultstätten nicht „über das Gebiet der Stadt hinweg verteilt" (117), sondern doch nahezu alle außerhalb der Stadtmauer liegen.2 Auch in Mailand ist die lokale Märtyrerverehrung untrennbar mit dem dortigen Bischof Ambrosius (374–397) verbunden, dessen Maßnahmen überregionale Wirkung erlangten (z. B. Theodor von Martigny, Maximus von Turin 124 f.) und der noch dazu durch die von ihm initiierten Kirchenbauten hervorsticht. Diese sind – enger als bei Bergjan und Näf dargestellt – mit dem Märtyrerkult verknüpft und entstanden eben nicht als Orte der bischöflichen Predigt (120), sondern als Kultorte prominenter Märtyrer bzw. als bischöfliches Grabmonument ad sanctos.3 Nach einer kurzen Würdigung Justinians als Bauherr und Verehrer der Märtyrer schließt ein Ausblick auf deren Kult im Frühmittelalter das Kapitel ab, das durch eine Zusammenfassung an zusätzlicher Kohärenz gewonnen hätte. In „Martyrien, Heiligkeit und die Frage nach ihrer Interpretation" wird die Ausweitung des lebensbejahenden Martyriumsbegriffs und das „Ringen um die richtige Auslegung der Martyrien" (159) nachgezeichnet. Dabei kommen sowohl die antike Kritik an „falschen" Martyrien (z. B. durch Clemens von Alexandrien) als auch die moderne „Entmythologisierung" unhistorischer Märtyrer durch prominente Vertreter der Transzendentaltheologie zur Sprache. Der „Diesseitsbezug" der erweiterten Martyriumsvorstellung sei nicht zuletzt durch das nun christliche Kaisertum entsprechend verankert gewesen (149 f.); damit einherginge eine Materialisierung des Märtyrerkultes im Reliquienkult, der wie eine allzu ausschweifende Märtyrerverehrung bereits in der Spätantike Kritik hervorrief (z. B. durch Vigilantius). Das Kapitel „Märtyrerkult und christliche Lebensweisen" (159–175) nähert sich den konkreten, alltäglichen Manifestationen des Märtyrerglaubens erst, nachdem einige allgemeine Anreize der christlichen Religion und ihrer neuen Wertvorstellungen (Askese und caritas) genannt wurden. Die Aus- und Wechselwirkungen auf die spätantike Lebenswelt wird u. a. anschaulich am Beispiel der Totenmahlfeiern in Erinnerung gerufen. Überzeugend ist Bergjan und Näfs darauf folgende Kritik an einem zu oberflächlichen Vergleich antiker Inkubationspraxis und christlicher Traumtheorie (169–171). Die Darstellung schließt mit einem „Ausblick auf die Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte" (177–184). Damit greifen Bergjan und Näf einmal mehr ein Hauptanliegen ihres Buches auf und betonen die Relevanz einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit antiken Phänomenen für die moderne Gesellschaft und Kultur. Es folgen hilfreiche bibliographische Hinweise. Mit Hinblick auf eine breitere Leserschaft hätte ein Glossar zum besseren Textverständnis beigetragen. Die Textabbildungen sind durchweg mit Bildunterschriften versehen, allerdings würden Abbildungsverweise im Text den Zugang zusätzlich erleichtern. Die vorhandenen Druckfehler verstellen den Sinn nur in den seltensten Fällen. Trotz der Kürze des Buches gelingt es den Autoren viele Gesichtspunkte der frühchristlichen Märtyrerverehrung anzusprechen. Es ist dabei verständlich, dass einzelne Thesen oft stark verkürzt wiedergegeben werden müssen. Ein ausführlicherer Anmerkungsapparat wäre mancherorts aber dennoch wünschenswert gewesen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Lektüre zwar durch eine nicht selten assoziative, leicht sprunghafte Anordnung der Gedankengänge erschwert wird; doch gerade dieser assoziative Charakter des Textes, kann auch als äußerst anregend empfunden werden, bringt er eben die Vielschichtigkeit der frühchristlichen Märtyrerverehrung zum Ausdruck. So eröffnen besonders die geistreichen Bezüge zu theologischen Diskussionen der Gegenwart unerwartete Blicke auf die spätantike Glaubenswelt; dies wiederum kann dazu beitragen, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem viel diskutierten Forschungsgegenstand in neue Richtungen zu stoßen.
Notes:
1. Vgl. F. Kolb, Herrscherideologie in der Spätantike (Berlin 2001), 67.
2. Hier hätte ferner auf die Arbeiten von Marianne Saghy und besonders Ursula Reutter verwiesen werden sollen: M. Sághy, Prayer at the Tomb of the Martyrs? The Damasan Epigrams, in: Institutum Patristicum Augustinianum (Hrsg.), La preghiera nel tardo antico. Dalle origini ad Agostino. XXVII Incontro di Studiosi dell'Antichità Cristiana, Roma 7–9 maggio 1998, Studia ephemeridis Augustinianum (Rom 1999) 519–537; M. Sághy, Scinditur in partes populus. Pope Damasus and the Martyrs of Rome, Early Medieval Europe 9, 2000, 273–287; U. Reutter, Damasus, Bischof von Rom (366 – 384). Leben und Werk (Tübingen 2009). Im Detail unterlaufen den Autoren einige Ungenauigkeiten: Anders als 117 f. angegeben, lag die Kirche S. Lorenzo f. l. m. nicht auf damasianischen Familienbesitz. Hier liegt offenbar eine Verwechslung mit der innerstädtischen Kirche S. Lorenzo in Damaso vor (Vgl. M. Löx, monumenta sanctorum. Rom und Mailand als Zentren des frühen Christentums: Märtyrerkult und Kirchenbau unter den Bischöfen Damasus und Ambrosius (Wiesbaden 2013) 49 – 58). Ebenso stammt Damasus Vater nicht "aus dem Gebiet des heutigen Portugal" (118), sondern aus Hispanien (LibPont I 212,1); ferner handelt es sich beim Damasus-Epigramm 57 nicht um das Grabepigramm desselben, sondern um eine Bauinschrift vom Eingang des titulus Damasi, vgl. Reutter 2009, 100; Löx 2013, 53 f.
3. Die basilica Apostolorum wurde zu ihrer Weihe mit Apostelreliquien, wahrscheinlich der Hll. Petrus und Paulus ausgestattet. Die basilica Ambrosiana war von Ambrosius von Beginn an als Grabeskirche für ihn selbst konzipiert, vgl. P. Brown, Through the Eye of a Needle. Wealth, the Fall of Rome, and the Making of Christianity in the West, 350–550 AD (Princeton 2012) 123; Löx 2013, 97–101. 113–115.
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