Tuesday, October 28, 2014

2014.10.52

Bruno Bleckmann, Timo Stickler (ed.), Griechische Profanhistoriker des fünften nachchristlichen Jahrhunderts. Historia - Einzelschriften, Bd 228. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2014. Pp. 228. ISBN 9783515106412. €56.00.

Reviewed by Christoph Begass, Johannes Gutenberg-Universität Mainz (cbegass@uni-mainz.de)

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Table of Contents

Der hier anzuzeigende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die von den beiden Herausgebern im September 2010 veranstaltet wurde. Er ist die erste Publikation eines an der Düsseldorfer Heinrich Heine-Universität angesiedelten Projekts, in dem Kleine und Fragmentarische Historiker der Spätantike „vom vierten bis zum siebten Jahrhundert ediert, übersetzt und kommentiert werden sollen." (8) Ausführlicher als die Einleitung unterrichtet die Homepage des Projekts, dass die Texte jeweils mit „einem über die wichtigsten Lesarten und Konjekturen unterrichtenden kritischen Apparat" sowie einem historisch-philologischen Kommentar und einer deutsche Übersetzung versehen werden.1

Die Beiträge des vorliegenden Bandes – es handelt sich um „überarbeitete und teilweise wesentlich erweiterte Vorträge" (Vorwort) durchweg ausgewiesener Forscher – widmen sich mit den griechischen Profanhistoriker des 5. Jhs. n. Chr. somit nur einem Teil des Gesamtprojekts, einem Teil jedoch, der in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit gefunden hat. Dies ist wenig verwunderlich, beruhen unsere Kenntnisse des 5. Jhs. weitgehend auf den fragmentarisch überlieferten Historikern. Im einzelnen widmen sich die Beiträge Eunapius von Sardes, Olympiodorus von Theben, Priscus von Panion, Malchus von Philadelphia und Candidus, die bisher in den Editionen von Karl Müller, Ludwig Dindorf und Roger C. Blockley vorliegen.2 Bis auf Hans-Ulrich Wiemer, der auch einige wichtige Überlegungen zum Malchus-Text vorlegt (s.u.), widmen sich die Autoren weitgehend interpretatorischen, weniger textkritischen Problemen.

In seiner Einleitung (7–18) stellt Bruno Bleckmann vor allem die methodischen Probleme vor, die sich bei der Edition fragmentarisch überlieferter Autoren ergeben (8). Hier sei vor allem stets der Kontext, in dem das Zitat überliefert ist, zu berücksichtigen. Dies gilt im vorliegenden Falle vor allem für die von Photios oft nur in Paraphrase wiedergegebenen Autoren. Aber auch die in den Exzerptsammlungen des byzantinischen Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos überlieferten Bruchstücke wiesen oftmals in den Einleitungen „Verzerrungen durch Kürzungstechniken" auf (9). Darüber hinaus ergibt sich aus der durch die Fragmentierung stark verzerrten Überlieferung die Frage, ob sich Blockleys Einordnung dieser Historiographen als Klassizisten („classicising historians") halten lässt (7).3

Mit Antonio Baldini und François Paschoud widmen sich zwei ausgewiesene Kenner dem historiographischen Werk Eunaps (19–50). Ihr Beitrag ist schon deshalb interessant, da er zwei Forscher im Dialog zeigt, die seit über dreißig Jahren teils ähnliche, teils auch deutlich divergierende Positionen vertreten. Nachdem die Gemeinsamkeiten dargelegt worden sind, erörtern beide Autoren – jeweils in Abgrenzung zum anderen – ihre eigenen Positionen („Hypothèses Paschoud non partagées par Baldini", 29–36; „Ipotesi Baldini non condivise da Paschoud", 37–50). Zum Verhältnis des Geschichtswerks zu den Sophisten- und Philosophenviten und damit auch zu Baldinis „Ricorso alle Vite dei Sofisti" (43–44) sei jetzt auch auf M. Becker, Eunapios aus Sardes, Biographien über Philosophen und Sophisten. Einleitung, Übersetzung, Kommentar, Stuttgart 2013 verwiesen.4

Im folgenden unterzieht Udo Hartmann Eunaps Vitae philosophorum et sophistarum einer eingehenden Interpretation (51–84). Zwar handelt es sich bei diesen Lebensbeschreibungen nicht im eigentlichen Sinne um ein historiographisches Werk, doch hat schon Eunap selbst sie als Komplementärwerk zu seinen Historien angelegt (75–77). Hartmanns Fokus liegt auf der Frage, inwieweit sich Eunaps Geschichtsbild rekonstruieren lässt, wo doch weite Teile seines historiographischen Werkes nur durch Zosimos überliefert sind. Leider konnte Hartmann, wie er selbst in einem Nachtrag bemerkt, die zu den Viten nun grundlegenden Arbeiten Matthias Beckers nicht mehr berücksichtigen.

Mit Olympiodor widmet sich Timo Stickler einem Geschichtsschreiber, dessen Werk weitestgehend verloren ist (85–102). Die erhaltenen Teile hingegen sind oftmals durch Photios' Paraphrasen so weit entstellt, dass die Frage nach der ursprünglichen Konzeption unbeantwortet bleiben muss. Photios exzerpierte nämlich „nicht das Naheliegende, dem Patriarchen möglicherweise geläufige, sondern das für ihn Neuartige, ihm wunderlich oder sonst irgendwie merkwürdig Erscheinende." (96) Eine solche aus dem Zusammenhang gerissene Kuriosität, die noch isoliert großen Wert besitzt, ist das bekannte fr. 44 Müller = 41,2 Blockley, das die Abstufungen der reichsten Familien schildert.5

Einen etwas anderen Zugang als Stickler wählt Dariusz Brodka in seiner Untersuchung zu Priscus von Panium (103–120), indem er den gescheiterten Feldzug des Basiliskos gegen die Vandalen in Nordafrika als Beispiel für die historiographische Methode des Priscus untersucht. Brodka hält Priscus für weitgehend zuverlässig und ordnet die verwirrenden Zahlenangaben späteren Autoren wie Theophanes zu, die in dessen Traditon stehen (104–105). Darüber hinaus kann er überzeugend darlegen, dass auch Prokops Schilderung des Feldzuges gegen Geiserich (Bell. 3,6) und die anschließenden Verwerfungen am Hof in Konstantinopel auf Priscus zurückgeht (115–116), die Darstellung bei Nikephoros Kallistos Xanthopoulos aber wohl nicht (117).

Hans-Ulrich Wiemers Beitrag zu Malchus von Philadelphia (121–159) unterscheidet sich von den übrigen insbesondere durch seine textkritischen Passagen. Hier schlägt er einige Emendationen vor, von denen sich die wichtigste auf die Verleihung der patricius-Würde an Odoaker bezieht (fr. 10 Müller/Dindorf/Cresci = 14 Blockley = 5.5 Wiemer). Seine ausführliche Begründung dieses Vorschlags (138–140) ist sprachlich möglich (Optaviv Aorist πράξειε statt Optativ futuri πράξοι in der oratio obliqua), inhaltlich zudem wahrscheinlich. Aus diesem Grunde ist es nachvollziehbar, dass er in einem Anhang die von ihm diskutierten Fragmente mit den Verbesserungen im griechischen Text, deutscher Übersetzung sowie einigen Verständnishilfen wiedergibt (149–155).

Die folgenden beiden Aufsätze von Hartwin Brandt (161–170) und Mischa Meier (171–193) beschäftigen sich mit dem isaurischen Historiographen Candidus. Ähnlich der Doppeluntersuchung zu Eunapios von Baldini und Paschoud ergänzen sich beide Abhandlungen, da sich Brandts Beitrag stärker auf die Frage konzentriert, welche Quellen Candidus benutzt hat bzw. welchen Autoren Candidus selbst als Quelle diente (163–166), während für Meier die Frage nach einer vermeintlichen isaurischen Identität im Mittelpunkt steht und wie ein solches Konzept als isaurischer Gegenpart zu den „offiziösen Texte[n] der Anastasios-Seite" diente.6

Die abschließenden Beiträge von Henning Börm (195–214) und Philippe Blaudeau (215–228) wollen, obschon es sich um fundierte Arbeiten handelt, nicht recht zum Thema des Bandes passen – was sowohl den Herausgebern (17) als auch den Autoren (196) wohl bewusst ist. Vielleicht hätte sich eine Zusammenschau der weiteren kleineren griechischen Profanhistoriker – wie Capito (FHG IV 133–134) oder Eustathios von Epiphaneia (FHG IV 138–142) – angeboten. Um eine Verbindung zum Thema des Sammelbandes herzustellen, steht daher in Börms Beitrag über Hydatius von Aquae Flaviae dessen Interesse für den östlichen Reichsteil im Mittelpunkt (201–205), aus dem für Börm eine nach wie vor vorhandene „Einheit des Römischen Reiches" spricht (208–211).

Neben den profangeschichtlichen Werken des 5. Jhs. sind Fragmente zahlreicher Kirchengeschichten erhalten, von denen die wichtigsten sicherlich jene des Ps.-Zacharias Rhetor und Theodoros Anagnostes (bzw. Lector) sind. Auf diese konzentriert sich Philippe Blaudeau im letzten Beitrag. Zunächst beleuchtet er die nur in Fragmenten erhaltene Kirchengeschichte des Hesychios von Jerusalem (216–221), bevor er in einem zweiten Teil allgemein Gebrauch und Missbrauch der Kirchengeschichten, speziell in justinianischer Zeit, in den Blick nimmt (221–227).

Insgesamt bietet der Band neun sehr gute Einzelbeiträge, die den aktuellen Stand darstellen. Speziell in den Beiträgen zu Eunapios und Candidus, wo sich verschiedene Aspekte und Forschungsmeinungen begegnen, ergibt sich ein vielschichtiges Bild der jeweiligen Geschichtsschreiber. Von großer Wichtigkeit sind auch Wiemers umsichtige Vorschläge zum Malchus-Text. Wie bereits oben angedeutet, hätte sich ein weiterer Beitrag zu den übrigen griechischen Profanhistorikern angeboten, statt auch den lateinischen Westen und die Kirchengeschichte mit einzubeziehen.

Einziges Manko dieses vorzüglichen Bandes sind fehlende Register. Gerade bei einem Sammelband, dessen Einzelbeiträge üblicherweise separat konsultiert werden, erschwert dies die Benutzung erheblich. Ein Personen- und ein Stellenindex wären unerlässlich gewesen, zumal dies bei dem Umfang von etwa 230 Seiten auch drucktechnisch zu keinerlei Problemen geführt hätte.



Notes:


1.   Projekthomepage an der Universität Düsseldorf. An der Universität zu Köln bereitet Dariya Rafiyenko eine kritische Ausgabe Fragmente des Petros Patrikios (FHG IV181–191) vor, vgl. Proceedings of the 22nd International Congress of Byzantine Studies 2011, Sofia 2011, III 136.
2.   Fragmenta Historicorum Graecorum IV, ed. Karl Müller, Paris 1851; Historici Graeci Minores I, ed. Ludwig Dindorf, Leipzig 1870; The Fragmentary Classicising Historians of the Later Roman Empire. Eunapius, Olympiodorus, Priscus and Malchus, hg. v. Roger C. Blockley, 2 Bde., Liverpool 1981–1983. Zu den FHG vgl. Anthony Grafton, Fragmenta historicorum Graecorum. Fragments of Some Lost Enterprises, in: Glenn W. Most (ed.), Collecting Fragments – Fragmente sammeln, Göttingen 1997, 124–143, hier 125–127.
3.   Diese Bedenken wurden bereits in den Rezension zu Blockleys erstem Band geäußert, vgl. Averil Cameron, CR 33, 1983, 19; Brian Croke, Phoenix 37, 1983, 178; Roger Scott, JHS 104, 1984, 245; A. B. Breebaart, Mnemosyne IVs. 37, 1984, 234–35.
4.   Vgl. auch dens., Der schlechtere Weg ist das Ziel. Zum Leitbild des Philosophen in den Biographien des Eunapios, Zeitschrift für Antikes Christentum 15, 2011, 450–475; Philosophen zwischen Reichtum und Armut. Sozialer Status und asketischer Anspruch bei Eunapios aus Sardes, Millennium 9, 2012, 123–143.
5.   Vgl. dazu Alan Cameron, Probus' Praetorian Games. Olympiodorus fr. 44, GRBS 25, 1984, 193–196.
6.   Zur Identität der Isaurier jetzt auch Rene Pfeilschifter, Der Kaiser und Konstantinopel. Kommunikation und Konfliktaustrag in einer spätantiken Metropole, Berlin/Boston 2013, 541, vgl. meine Rezension: Sehepunkte 7/8, 2014

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