Monday, October 27, 2014

2014.10.49

Brent D. Shaw, Bringing in the Sheaves: Economy and Metaphor in the Roman World. Robson Classical Lectures. Toronto: University of Toronto Press, 2013. Pp. xx, 456. ISBN 9781442644793. $90.00.

Reviewed by Sven Günther, Institute for the History of Ancient Civilizations, Northeast Normal University, Changchun (sveneca@aol.com)

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„Bringing in the Sheaves" ist nicht nur ein bis heute populärer US-amerikanischer (protestantischer) Gospelsong. Der Refrain deutet neben seinen allegorischen Anspielungen auch auf einen zentralen Akt des landwirtschaftlichen Zyklus: die Ernte. Was an antiken ökonomischen Prozessen hinter dieser letztlich aus dem Psalm 126, Vers 6 stammenden Phrase steht und wie die harte Realität der Erntezeit die Gedankenwelt (nicht nur) der antiken Menschen geformt und zur metaphorischen Auslegung inspiriert hat, steht im Zentrum des vom Andrew Fleming West Professor of Classics an der Universität Princeton verfaßten Werkes.

In den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt S(haw) dabei den außergewöhnlichen Inschriftenfund aus dem tunesischen Makthar, dem antiken Mactaris der Africa Proconsularis (CIL VIII 11824 = ILS 7457). Die Grabinschrift in Versform eines anonymen (de)messor / „Schnitter / Mähers" veranlaßt S. dabei nicht nur, ausführlich die Inschrift sowie die Forschungsgeschichte darum, den darin erwähnten Werdegang wie Aufstieg des Anonymus und dessen geschilderte Lebensrealität unter die Lupe zu nehmen (vgl. Kapitel 2, S. 48-92; ausführlicher Kommentar zur Inschrift in Appendix 2, S. 281-298); wie in konzentrischen Kreisen baut er nämlich auch Schritt für Schritt eine Brücke über die Analyse der agrarökonomischen Umstände des Erntewesens in der Antike im Vergleich zur (Vor-)Moderne hin zur metaphorischen Verwendung von Begriffen und deren Wirkungskraft durch Zeiten und Kulturen hindurch – quasi eine longue durée der Per- und Rezeption einer zutiefst im menschlichen Handeln verankerten Kulturtechnik.

Daß es sich dabei nicht um eine Monographie im klassischen Sinne handelt, sondern man die schrittweise Gedankenentwicklung des Autors in den beschriebenen Bahnen förmlich nachlesen und -vollziehen kann, betont dieser freimütig bereits im ersten Satz der Einleitung („This is not a book", S. XV). Die Genese des Werkes – mehrere Robson Classical Lectures an der University of Toronto – macht es allerdings unvermeidlich, an einigen Stellen Wiederholungen bereits bekannter Sachverhalte in Kauf nehmen zu müssen, so daß die Lektüre nicht ganz einfach ist, zumal kleine Schrifttype und Endnoten ein angenehmes wissenschaftliches Lesen und Nachdenken zu unterbinden vermögen.

Inhaltlich hingegen zieht S. den Leser gleich zu Beginn in den Bann: Im ersten Kapitel (S. 3-47) zeigt er mithilfe sorgsam gewählter komparatistischer Studien auf, welch große Bedeutung der Ernteprozeß im Lebens- und Jahresrhythmus der vormodernen Menschen hatte und wie groß die Zahl der daran beteiligten Arbeitskräfte gewesen sein muß; in Kontrast dazu steht die seltene Erwähnung dieses lebensnotwendigen, sich stetig wiederholenden Schrittes in den vorchristlichen Quellen – erst die christliche Literatur der Kirchenväter machte regen Gebrauch von der Metapher des „Schnitters", insbesondere als Hinweis auf den Zyklus des Lebens als Werden und Vergehen.

Mithilfe der Analyse der verstreuten Quellen sowie den angesprochenen komparatistischen Überlegungen gelingt es S. hier ebenfalls, die Existenz eines regelrechten Erntehelfer-Marktes herauszuarbeiten, was für ihn der Ausgangspunkt für die ausführliche Interpretation der Makthar-Inschrift im zweiten Kapitel (S. 48-92) darstellt. Hier kann er nämlich einerseits durch seine ausführliche epigraphisch-paläographische Betrachtung eine Datierung der Inschrift in die Spätantike wahrscheinlich machen. Andererseits vermag er aufgrund der ausführlichen Einbettung des in der Inschrift geschilderten sozialen Aufstiegs des Anonymus in die Lebens-, Arbeits- und Vertragswelt des antiken Erntehelferwesens, unter anderem anhand der papyrologisch überlieferten Verträge aus dem römischen Ägypten (siehe Appendix 1, S. 271-280), dem Argument der primitivistischen Forschung zur antiken Wirtschaft, daß diese Inschrift einen Ausnahmefall darstelle, das Wasser endgültig abzugraben. Vielmehr kann er die Wirkungsweise eines sehr ausdifferenzierten Arbeitsmarktes beispielsweise mit der Abhängigkeit der vertraglich garantierten Entlohnung von Angebot und Nachfrage oder dem Einsatz von Mittelsmännern respektive Anführern der Erntehelfergruppen nachzeichnen. Als Analyseinstrument hätte sich hier aus Sicht des Rezensenten auch der Transaktionskostenansatz der Neuen Institutionenökonomie angeboten, der die sich herausbildenden Organisationseinheiten bei den Erntehelfern sowie die Beauftragung eines „Agenten" zur Wahrnehmung der konkreten Vertragsgestaltung mithilfe der Verringerung der Informations- und Abschlußkosten einleuchtend erklärt.1

Im dritten Kapitel (S. 93-149) wendet sich S. dann den technischen Aspekten des Ernteprozesses zu: Auch hier gelingt ihm ein Schlag ins Kontor der primitivistischen Ansicht, daß es in der Römischen Kaiserzeit keinen wesentlichen technologischen Fortschritt aufgrund der überall leicht und billig verfügbaren Sklavenarbeit gegeben habe.2 Nicht nur kann er nämlich aufzeigen, daß es im Erntehelfeprozeß gerade freie „Schnitter" waren, welche mit teils lukrativen Verträgen ausgestattet wurden, sondern mit seiner ausführlichen Betrachtung der Hilfsmittel beim Ernteprozeß von der Antike bis in die Moderne, insbesondere der hochumstrittenen gallischen Erntemaschine (vgl. auch Appendix 3, S. 299-303), macht er deutlich, wie sehr regionale Faktoren und Einstellungen Einfluß auf technologische Entwicklungen und Fortschritte haben können, so daß Sklaverei nicht der einzige und vor allem nicht der entscheidende (Hinderungs-)Faktor sein konnte. Allerdings vermag es S. hier nicht, ein „Gegenmodell" zu installieren. Auch hier könnte die Neue Institutionenökonomie hilfreiche Impulse liefern, da die für die Theorie zentralen „Institutionen" alle Rahmen(bedingungen) zu erfassen suchen, die Einfluß auf ökonomische Entscheidungen ausüben, somit regionale, klimatische, aber auch Werteinstellungen berücksichtigt werden können.

Mit den Kapiteln vier und fünf (S. 150-220, 221-270) verläßt S. dann den „realen" Kontext und analysiert den Transfer der von ihm sorgsam ausgebreiteten Lebenswirklichkeit in die metaphorische Ebene. Die Ernte als Symbol des Todes und Gegenbild zum Säen als Beginn des Lebens wird dabei ebenso untersucht wie etwa die Diskrepanz zwischen der Mactaris-Inschrift mit dem erfolgreichen (de)messor und den (apokalyptischen) christlichen Schriften mit dem Bild des Unrecht rächenden „Schnitters" und vieles mehr. Allerdings bleibt er nicht beim bloßen Topos-Dropping stehen: Es gelingt ihm zu zeigen, inwieweit diese metaphorische Ebene dann wieder Rückwirkungen auf die Realität zeitigte, indem er antike und moderne Aufstandsphänomene darlegt. Insbesondere, und für die Inschrift aus Mactaris wichtig, knüpft er eine Verbindung zwischen den Erntehelfergruppen und den sogenannten circumcelliones, gewalttätigen Gruppen, in der früheren Forschung zumeist und pauschal als religiöse Fanatiker gedeutet, was wohl deutlich zu differenzieren ist.3 Vor allem die literarische Konstruktion eines „Feindbildes" von den circumcelliones seitens der christlichen Autoren, namentlich von Augustinus, kann er deutlich machen.

Insgesamt legt S. eine äußerst anregende Studie über ein bislang aufgrund der verstreuten Quellenlage vernachlässigtes Feld der Antiken Ökonomieforschung vor. Insbesondere durch die Verknüpfung von sozio-ökonomischer „Realität" und literarischer Auseinandersetzung mit dieser kann er verdeutlichen, daß viele Wege zu einer neuen Sichtweise antiker ökonomischer Prozesse fernab von Primitivismus oder Modernismus möglich sind.



Notes:


1.   Vgl. dazu nur die konzise Zusammenfassung der Neuen Institutionenökonomie durch deren maßgeblichen „Begründer" D. C. North, The New Institutional Economics, Journal of Institutional and Theoretical Economics 142,1 (1986), 230-237. Für die Anwendungsmöglichkeiten auf die Antiken Ökonomien sei auf den bald erscheinenden Tagungsband der Internationalen Konferenz „Ancient Economies and Cultural Identities (2000 BC - AD 500)", Universität Marburg – Marburger Centrum Antike Welt (MCAW), 20.-22.2.2014, verwiesen. Vgl. hier den kurzen Tagungsbericht unter: Tagungsbericht (1.10.2014).
2.   Für einen umfassenden Überblick über die momentane Auseinandersetzung der neuen Antiken Ökonomieforschung mit den Thesen Finleys und seiner Schüler und die dabei oftmalige Vernachlässigung der Sklaverei als (allerdings) zentralem Ansatz- und Ausgangspunkt für die Finley´schen Konstrukte vgl. S. Ito, Evidence, Theories and the Ancient Economy. A Critical Survey of Recent Work, Japan studies in classical antiquity: JASCA 1 (2011), 4-25.
3.   Vgl. dazu auch ausführlicher B. D. Shaw, Sacred Violence: African Christians and Sectarian Hatred in the Age of Augustine, Cambridge / New York 2011. Siehe dazu die durchaus kritische Rezension von Cl. Ando in BMCR 2012.08.30 (1.10.2014).

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