Reviewed by Matylda Obryk, Heinrich-Heine-University Düsseldorf (matylda.obryk@uni-duesseldorf.de)
In Madly after Muses stellt Alexander Riddiford einen herausragenden Dichter aus Bengalen, Michael Madhusudan Datta, vor und gibt einen erstmaligen Einblick in sein Werk, das sich auf beachtenswerte Weise mit der griechisch-römischen Antike auseinandersetzt. Erschienen in der Reihe Classical Presences stellt das Buch einen neuen Ansatz in der Beschäftigung mit der Rezeption der europäischen Antike dar. Riddiford folgt dem von Martindale formulierten Ansatz, nach dem Rezeption als eine Wechselbeziehung zwischen beiden Kulturen, der empfangenden und der empfangenen, verstanden und beiden gleiche Gewichtung zuteil wird (60).1 Madhusudan Datta zeigt sich in seinem Werk als eine Mischform kultureller Identität, was Riddiford dem Leser auf gekonnte Art und Weise vor Augen führt (IX). Riddiford präsentiert Madhusudans Leben und sein Oeuvre im Kontext der bengalischen Realität der zweiten Hälfte des 19. Jh.s, in der Zeit des langsam aufkeimenden Widerstands gegen die britische Regierung. Madhusudan sympathisierte stark mit der britischen Kultur, zugleich aber versuchte er auch, sein kulturelles Erbe auf eine neue Ebene zu bringen. Obgleich er zum Christentum konvertierte und sich darum bemühte, die markantesten Denkmäler der europäischen Kultur in das Gewebe der bengalischen Tradition zu integrieren (VIII), blieb er der indischen literarischen Tradition treu. 2 Im ersten Kapitel wird ein Einblick in Madhusudans Leben gewährt. Riddiford stellt den Dichter vor dem Hintergrund des Kalkutta des 19. Jh.s in einer sehr gründlichen und bereichernden Weise dar. Der Leser lernt Madhusudan als eine herausragende und kontroverse Persönlichkeit kennen, eine Persönlichkeit, die im Endeffekt in keiner Kultur richtig zu Hause war und der ihre Sympathien zum Westen zum Verhängnis wurden. Trotzdem wird er unzweifelhaft als die überraschendste Figur der gesamten indischen Literaturgeschichte wahrgenommen (IX) und auf diese Weise auch dem westlichen Leser erstmalig in größerem Umfang vorgestellt.3 Ab dem zweiten Kapitel bekommt der Leser einen sukzessiven Einblick in Madhusudans wichtigste Werke. Das zweite Kapitel ist dem Padmābatī Nāṭak gewidmet, das eine außergewöhnliche Umarbeitung des Urteils des Paris darstellt. Da bis auf ein Werk (s.u.) das Oeuvre Madhusudans bisher nicht ins Englische übertragen wurde, liefert Riddiford in Appendix 3 eine Übersetzung des ersten Aktes des Dramas und in Appendix 4 eine Synopsis des ganzen Werkes. Die Übersetzung ist auf einem hohen literarischen Niveau und weckt den Appetit, mehr von dieser Literatur zu kosten. Riddiford betrachtet kritisch Madhusudans Auseinandersetzung mit der griechischen Vorlage und diskutiert die indischen Einflüsse auf das Werk im Kontext der kulturellen Atmosphäre, die zu dieser Zeit in Kalkutta vorherrschend war. Madhusudan übersetzt das Urteil des Paris in die indische Wirklichkeit und literarische Tradition. Riddiford macht darauf aufmerksam, dass Madhusudan sich der Erkenntnisse der westlichen Indologen und Kulturwissenschaftler vollkommen bewusst war, da er in die Fußstapfen des europäischen Orientalismus mit seiner indo-europäischen vergleichenden Mythologie trat. Riddiford betont, dass Madhusudan, obgleich aus der griechischen Literatur schöpfend, völlig der indischen Ästhetik verpflichtet sei und den griechischen Mythos „indianisiere". Das dritte Kapitel ist Madhusudans Meisterwerk gewidmet: dem Meghnādbadh kābya, das eine neue Version des indischen Epos Rāmāyaṇa ist, wofür die Ilias ein strukturelles und gattungsmäßiges Paradigma bildet (neben der Aeneis). Riddiford betont, dass, auch wenn das Thema durch und durch indisch ist, die Form und der Stil genuin griechisch sind. Riddiford bemerkt auch treffend, dass Madhusudan sich bewusst für die Umkehrung der Sympathien in einer recht kontroversen Art und Weise entschied: So wird Rävaëa, der im Rāmāyaṇa der Erzfeind des Rāma, einer anerkannten Inkarnation des indischen Hauptgottes Viñëu, ist, deutlich der Vorrang gegeben. Auch strukturell begegnet dem Leser Unerwartetes in einer indischen Dichtung. Riddiford macht darauf aufmerksam, dass Madhusudan die zentrale Episode der Odyssee, die Nekyia, auch in seine Version des Rāmāyaṇa einbaut, indem er Rāma seinen Vater Daçaratha in der Unterwelt besuchen und befragen lässt (98). Riddiford stellt die unorthodoxe Umkehrung der Sympathien von Madhusudan vor den Hintergrund der bengalischen politischen und kulturellen Tendenzen und macht damit glaubwürdig, dass Madhusudan damit einen Akzent gegen die Hegemonie der Hindu Pandits (Gelehrten) setzen wollte (118). Das vierte Kapitel ist der weiteren Rezeption von Vergils Aeneis gewidmet. Riddiford nimmt sich dafür zwei Werke vor: zum einen eine englische Vorlesung, die Madhusudan in Madras an ein britisches Publikum richtete; zum anderen ein weiteres Nationalepos im Kernstadium seiner Entwicklung. In der Vorlesung hat Madhusudan wohl die britische Invasion mit Aeneas und das angegriffene Indien mit Dido in Vergleich gebracht. In dem Entwurf des bengalischen Epos wollte er dagegen einen bengalischen Aeneas ins Spiel bringen. Riddiford zeigt an diesen beiden Beispielen, wie fremd Madhusudan letztlich in beiden dieser Kulturen blieb. Er stieg aus der einen aus, wurde aber in die nächste nie völlig aufgenommen. Im fünften Kapitel führt Riddiford den Leser in eines der auffälligsten Werke Madhusudans ein. Das Bīrāṅganā kābya stellt eine indianisierte Umformung von Ovids Heroidenbriefen dar. Riddiford betont in diesem Zusammenhang die revolutionäre Ader Madhusudans, sowohl auf der formalen als auch inhaltlichen Ebene. Formal stellt das Werk die erste Briefdichtung Indiens dar. Inhaltlich traf die Auseinandersetzung mit der Frauenfrage wahrlich den Nerv der Zeit, wie Riddiford bemerkt. Die Elite (bhadralok) von Kalkutta musste sich zu dieser Zeit vermehrt mit der westlichen Kritik an ihrem Verhältnis zu Frauen auseinandersetzen (162-63). Riddiford macht auch deutlich, dass Madhusudan sich mit seiner Beschäftigung mit Ovid gegen die literarischen Sympathien Großbritanniens aussprach, was von seiner Unabhängigkeit zeugt. Im sechsten Kapitel des Buches behandelt schließlich Riddiford das letzte bedeutende Werk Madhusudans: das Hekṭor-badh, das eine verkürzte Version der ersten 12 Gesänge der Ilias darstellt. Riddiford analysiert den wissenschaftlichen Hintergrund, der für dieses Werk relevant war, und betont, dass Madhusudan sich eher des weniger wissenschaftlichen Ansatzes von Jones vom Ende des 18. Jh.s bei der Gleichsetzung der griechischen und indischen Götter bediente als des indo-europäischen Komparatismus seiner Zeit. Riddiford bezeichnet Madhusudans Ziel als ein missionarisches: Er wollte wohl den Indern die westliche Kultur auf eine verdauliche Art und Weise näher bringen. Riddiford sieht sich als Repräsentant eines neuen Forschungsfeldes, das er als „black classicism" bezeichnet (200). Der neue Ansatz, dessen er sich bei der Auseinandersetzung mit dem bengalischen Dichter bedient, erlaubt ihm einen tiefen Einblick in die kulturelle Situation Bengalens am Anfang der zweiten Hälfte des 19. Jh.s. Die oftmals betonte Hybridität Madhusudans kommt dabei deutlich zum Vorschein. Riddiford gibt so dem Leser einen Einblick in eine fremde Welt, die für viele ohne ihn verschlossen bleiben müsste. Riddiford ist sich dieser Tatsache vollkommen bewusst und liefert dem Leser freundliche Unterstützung für den Zugang zur bengalischen Literatur. In den zahlreichen Appendices – wie schon oben angedeutet – findet der Leser neben wichtigen Informationen über den kulturellen und Bildungshintergrund Madhusudans auch Übersetzungen der wichtigsten Abschnitte der behandelten Werke. Das Buch ist sehr sorgfältig herausgegeben. Ich konnte nur einen Tippfehler finden. Das Buch hat ferner einen leserfreundlichen Index. Madly after Muses ist auf jeden Fall denjenigen zu empfehlen, die sich für die Geschichte des Kolonialismus, besonders des britischen, interessieren, aber vor allem denjenigen, die sich mit der breit verstandenen Rezeption der Antike beschäftigen. Riddiford ist es hervorragend gelungen, dem in der Einleitung zu seinem Werk postuliertem Ansatz gerecht zu werden. Er hat das klassizisierende Werk Madhusudans gekonnt in den Zusammenhang der empfangenden Kultur und Wirklichkeit gebracht. Demnach wird der Leser nicht nur entlang den Entlehnungen, Parallelen und Unterschieden zwischen den jeweiligen Werken geleitet, sondern in die Wirklichkeit der lebendigen Auseinandersetzung mit der klassischen Kultur in einem bestimmten politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Kontext eingeführt.
Notes:
1. Martindale, C. et al., eds. (2006), Classics and the Uses of Reception, Oxford, pp. 11f.
2. In einem seiner Briefe, den Riddiford zitiert (VIII), drückt er es eindeutig aus: In matters literary, old boy, I am too proud to stand before the world in borrowed clothes. I may borrow a neck-tie, or even a waist coat, but not the whole suit.
3. Bisher wurde nur einem einzigen Werk Madhusudans, dem Epos Meghnādbadh kābya, im Westen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Seely widmete dem Werk einige seiner Publikationen und veröffentlichte sogar eine Übersetzung des Werkes (vgl. z. B. Seely, C. (1982), Rama in the Nether World: Indian Sources of Inspiration, JAOS 102, 3: 467-76; die Übersetzung: idem (2004), The Slaying of Meghanada, A Ramayana from Colonial Bengal, Oxford). Radice veröffentlichte ebenfalls eine Übersetzung desselben Epos: Radice, W. (2010), Michael Madhusudan Dutt, The Poem of the Killing Meghnād, New Delhi.
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