Reviewed by Bernhard Zimmermann, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau (bernhard.zimmermann@altphil.uni-freiburg.de)
Der Ian C. Storey anläßlich seiner Emeritierung gewidmete Band vereint 14 Beiträge namhafter Kenner der griechischen Komödie. J. Henderson (Pursuing Nemesis: Cratinus and Mythological Comedy, 1-12) diskutiert – im vollen Bewußtsein der methodischen Schwierigkeiten, die mit der Arbeit mit Fragmenten verbunden sind – die Fragmente von Kratinos' Nemesis und unternimmt den behutsamen Versuch einer Rekonstruktion. Zu Recht betont Henderson, was in jüngeren Untersuchungen zur Periodisierung der griechischen Komödie immer wieder herausgestellt wird, daß wir in der Gattungsgeschichte der Komödie ständig mit der ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen' rechnen müssen, daß wir in einer bestimmten Periode also Formen und Elemente finden, die eigentlich als typisch für die vorangehende oder die folgende literarische Epoche angesehen werden und daß die mythologische Komödie nicht als Erfindung des 4. Jahrhunderts in der Phase der Mese angesehen werden darf, sondern durchaus bereits im 5. Jahrhundert blühte. Ebenso zu Recht ordnet Henderson die Nemesis der Spielform der – wie man es nennen könnte – ‚transparenten Komödie' zu, wie wir sie im Dionysalexandros des Kratinos oder den Rittern des Aristophanes ebenfalls vorliegen haben: hinter Zeus in der Komödie ist unschwer Perikles zu erkennen. D. Konstan (A World without Slaves: Crates' Theria, 13-18) nimmt eine weitgehende Rekonstruktion des Inhalts von Krates' Komödie vor. Er identifiziert den Tier-Chor als Sklaven, die als Tiere verkleidet sind. Der Verzehr von Tieren ist Ausdruck einer barbarischen Instrumentalisierung von Lebewesen, wie dies bei Sklaven auch der Fall ist, die gleichsam als lebende Werkzeuge Verwendung finden. Die Komödie – so das Resümee – bietet eine Sicht auf die Gesellschaft aus Sicht der am meisten Benachteiligten. E. Csapo (‚Parade Abuse', ‚From Wagons', 19-33) unterzieht die seit der Antike bis in neuere Untersuchungen hinein immer wieder für die Rekonstruktion der Vor- und Frühgeschichte der Komödie ins Spiel gebrachten ‚Spottreden vom Wagen' (τὰ ἐξ ἁμάξης) einer kritischen Überprüfung auf der Basis der Testimonien. K. Sidwell (Aristophanes' Acharnians and Eupolis again: Metacomedy in Action, 35-53) zeichnet vor dem Hintergrund von Aristophanes' Karriere als komischer Dichter den ständigen agonalen Dialog zwischen den komischen Dichtern des 5. Jahrhunderts nach, insbesondere zwischen den jungen Rivalen Eupolis und Aristophanes. Er rekonstruiert die Erwartungshaltung, mit der ein Zuschauer an den Lenäen des Jahres 425 ins Theater ging, und kommt mit Blick auf die erste erhaltene Komödie des Aristophanes zu dem Schluß, daß die Komödie kein geschlossenes System darstellt und eine schlüssige Handlungsführung eher sekundär ist, vielmehr das Stück in erster Linie durch Spott bestimmt ist (man könnte also geradezu von der ‚Spottstruktur' einer Komödie sprechen). H.R. Marshall (Clouds, Eupolis and Reperformance, 55-68) widmet sich am Beispiel der aristophanischen Wolken dem Problem der Wiederaufführung von Stücken und stellt eine Reihe interessanter Testimonien zusammen, die Rückschlüsse auf die Bekanntheit der aristophanischen Komödie erlauben. In den Fällen, in denen uns die Tradition von doppelten Textfassungen berichtet, müssen wir eine besondere Popularität des betreffenden Stücks annehmen. S.D. Olson (Lysistrata's Conspiracy and the Politics of 412 B.C., 69-81) kontextualisiert die Entstehung der aristophanischen Lysistrate im historischen Umfeld der Zeit nach der sizilischen Katastrophe des athenischen Heeres und lokalisiert die Abfassung des Stücks nach der Niederlage und nach dem Beginn der athenischen Gegenmaßnahmen, um der Folgen Herr zu werden, aber vor der Einrichtung der oligarchischen Herrschaft. D. Sells (Eleusis and the Public Status of Comedy in Aristophanes' Frogs, 83-99) unternimmt eine Einordnung der Frösche in den soziopolitisch-religiösen Kontext der Aufführungszeit (405) und schenkt besondere Aufmerksamkeit der für die Komödie des 5. Jahrhunderts atypischen Zusammensetzung des Chores aus Dionysosmysten. Der performative Charakter der Riten der Eleusinischen Mysterien lud geradezu zu einer Dramatisierung ein. Ähnlich wie in den Rittern wechseln Vorder- und Hintergrund, Komödienhandlung und ‚rituelle Agenda', miteinander ab, und der Zuschauer wird aufgefordert, die beiden Ebenen ständig miteinander in Beziehung zu setzen. A. Allan (Turning Remorse to Good Effect?: Arginusae, Theramenes and Aristophanes' Frogs, 101-114) geht bei ihrer Untersuchung der politischen Funktion der aristophanischen Komödie von der in der Forschung ausgiebig und äußerst kontrovers diskutierten Frage der Ernsthaftigkeit der politischen Ratschläge aus, die in den Komödien gegeben werden, und stellt sich die Frage, wie es zu der fehlgeschlagenen Dokimasie kommen konnte, die Theramenes vom Feldherrnamt 405/4 ausschloß (vgl. Lysias 13, 10). Allan verfolgt die impliziten und expliziten Anspielungen und Hinweise auf die Arginusen und die Folgen, die der Dichter über das ganze Stück verteilt und damit verhindert, daß sie in Vergessenheit geraten. Die Interpretation Allans zeigt deutlich, wie vielschichtig politische ‚Botschaften' in den aristophanischen Komödien sind und daß letztendlich die heimlichen, impliziten die wirkungsvolleren sein konnten. A.H. Sommerstein (Notes on Aristophanes' Frogs, 115-125) bietet eine Reihe von Retraktationen und Ergänzungen zu seinem Kommentar der aristophanischen Frösche (1996), zu Doppeldeutigkeiten (V. 100 ‚Fuß der Zeit'), zur Aufführung (V. 273-286), zur Eidesformel (V. 586-588), zu sprachlichen und grammatikalischen Details (V. 326, 1185, 1403). Von besonderem Interesse ist die mit der Entstehung und Konzeption der Frösche verbundene Frage, welche Partie Aristophanes nach dem Tod des Sophokles in die Komödie einfügte: Sommerstein plädiert – in Auseinandersetzung mit M. Weißenberger (RhMus 151, 2008, 49-60) – für die Verse 71-88 als spätere Einfügung. J. Fletcher (The Women's Decree: Law and its Other in the Ecclesiazuase, 127-140) stellt vor dem Hintergrund des regulären Gesetzgebungsverfahrens in dieser Zeit den obsoleten Status der Gesetze heraus, die die putschenden Frauen in den Ekklesiazusen erlassen. Da die Gesetze auf nicht rechtmäßige Art zustande kommen, brechen alle Mittel weg, Recht und Unrecht zu unterscheiden und auf einer rechtlich abgesicherten Basis die ‚Rettung der Stadt' herbeizuführen. Anstelle einer gesetzlichen Ordnung regieren Willkür und Gewalt. R. Tordoff (Carion Down the Piraeus; The Tragic Messenger Speech in Aristophanes' Wealth, 141-157) untersucht den längsten Botenbericht in der aristophanischen Komödie, den paratragischen Bericht des Sklaven Karion von Plutos' Heilung (627-720), unter typologischen und inhaltlichen Kriterien und zeigt die Notwendigkeit, daß der komische Botenbericht insgesamt eine ausführliche Darstellung verdiente. E. Scharffenberger (Axionicus, The Euripides Fan, 159-175) kommentiert die erhaltenen Fragmente der Komödie mit besonderem Gewicht auf der metrischen Erklärung von Fr. 4. Ihr Beitrag macht überzeugend deutlich, daß die philologisch exakte Kommentierung der einzige Weg ist, sich sinnvoll mit fragmentarischen Komödienautoren auseinanderzusetzen. R.M. Rosen (Timocles fr. 6 K-A and the Parody of Greek Literary Theory, 177-186) zeigt, daß das Fragment, in dem der didaktische, konsolatorische Nutzen von Tragödien beschrieben wird, nach dem Modell von Aristophanes' Fröschen (925ff.) gebaut ist. Dies legt eine Vertrautheit mit Inhalten und komischen Techniken der Alten Komödie bei Timokles nahe. C.W. Marshall (Cratinus, Menander and the Daphne Mosaic, 187-196) bespricht das in Daphne in der Nähe des syrischen Antiocheia gefundene Mosaik, auf dem Komodia, Glykera und Menander in sympotischer Umgebung zu sehen sind, und sieht darin einen Bezug auf Kratinos' Pytine. Damit betont der Künstler bzw. der Auftraggeber des Mosaiks die Kontinuität der Gattung Komödie von der Archaia bis zur Nea und unterstreicht die sympotische und erotische Komponente der Gattung. Der Band weist konzeptionell die Schwächen auf, die dem Genre ‚Festschrift' inhärent zu sein scheinen: er vereint eine Reihe von Aufsätzen – mit einem eindeutigen Schwerpunkt bei Aristophanes –, die nichts anderes gemeinsam haben, als daß sie sich mit der griechischen Komödie beschäftigen. Dies ist aber in keiner Weise der Qualität der hier vorgelegten Arbeiten abträglich. Sie sind durchweg interessante, teilweise innovative Studien zur Komödie, die man mit Gewinn liest.
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