Reviewed by Sven Günther, Universität Bielefeld (sven.guenther@uni-bielefeld.de)
Beschreibung und Inhaltsverzeichnis Die Erforschung wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellungen hat in den letzten Jahren einen Boom erlebt beziehungsweise ist vielmehr im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrisen unserer Zeiten wieder vermehrt ins Bewußtsein der Öffentlichkeit getreten. Insofern verwundert es kaum, daß auf diesem Forschungsfeld momentan eine Publikation nach der anderen erscheint. Dies gilt gerade auch für die Antike Ökonomie, die nach einem Dornröschenschlaf infolge des vermeintlichen Obsiegens der primitivistischen Forschungsposition à la M. I. Finley über modernistische Ansätze im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts erheblich aufgeholt hat – sowohl hinsichtlich der Neuauswertung des Quellenmaterials als auch bezüglich des Einbindens (wirtschafts-)theoretischer Ansätze. Man denke hier nur an die große „Cambridge Economic History of the Greco-Roman World"1 mit dem Ausleuchten der Neuen Institutionen-Ökonomie oder das „Oxford Roman Economy Project"2 mit dem Verknüpfen quantitativer Ansätze und klassischer altertumswissenschaftlicher Interpretationsmethoden. Auch im deutschsprachigen Raum tut sich hier momentan einiges3, so daß die vorliegende Publikation einer Tagung im Oktober 2011 an der Universität Salzburg gerade durch die Versammlung internationaler Experten aus unterschiedlichen „Schulen" nur begrüßt werden darf, gerade auch in der Erweiterung um mittelalterliche und neuzeitliche Perspektiven. Dies umso mehr, da das Thema „Kauf – Konsum und Märkte" eine gewisse tagespolitische Brisanz besitzt – waren es doch die Finanz- und Immobilienmärkte, die zu den aktuellen Mißlichkeiten geführt haben – und daher das schon klassische Bild des rational handelnden homo oeconomicus von vielen Seiten infrage stellt, was der Diskussion um den Charakter „vormoderner" Wirtschaften förderlich erscheint. Die Herausgeberin Monika Frass leitet zunächst mit kurzen Bemerkungen zum interdisziplinären Ansatz der Tagung, die auch Nichtwissenschaftler als moderne Marktexperten miteinbezog, und Vorstellung der letztlich zur Publikation gekommenen 11 Beiträge ein (7-11), die dann in alphabetischer Reihenfolge präsentiert werden. Hier wäre eine thematischere Ordnung, etwa ausgehend von theoretischen hin zu konkrete Themenbereiche behandelnden Aufsätzen sicher sinnvoller gewesen. Jesper Carlsen widmet sich dem Einbringen von Wissen seitens Freigelassener in die römische Weinproduktion (13-21). Entgegen der älteren Forschung kann er überzeugend nachweisen, daß auch im Bereich der Landwirtschaft sowie der Verhandlung agrarischer Güter auf dem Markt Freigelassene eine wichtige Rolle spielten, insbesondere im Finanzbereich. Die naheliegende Verbindung dieser Erkenntnis mit dem Artikel von Kai Ruffing zum Auktionswesen auf Märkten (213- 228) wird jedoch nicht durchgeführt, ja, noch nicht einmal mit Querverweisen darauf aufmerksam gemacht. Ruffing arbeitet unter dem Fokus der Neuen Institutionen-Ökonomie die Reduzierung von Transaktionskosten als den wesentlichen Vorteil von Auktionen auf Märkten heraus. Das von ihm erstellte sozio-ökonomische Netzwerk im Bereich des Weinhandels und der Versteigerung dieses Handelsgutes wäre dem Ansatz von Carlsen gut zu paß gekommen. Schön wäre es zudem gewesen, den (wichtigen) juristischen Ansatz von Daniele Mattiangeli bezüglich der Entwicklung des römischen Kaufvertrages (87-101) mit einzubeziehen, etwa die juristische Dimension der Auktion noch einmal entsprechend auszuleuchten. So bleibt Mattiangeli letztlich bei einer bloßen Entwicklungsgeschichte des Kaufvertrages stehen; die Exemplifizierung anhand eines Kaufvertrages für eine Sklavin (FIRA III 89), die wichtige Einsichten in Garantieleistungen usw. enthält und damit die „Modernität" dieser Rechtskonstruktion erweist, ist zudem fehlerhaft, da Käufer und Verkäufer in der Paraphrase durch den Autor verwechselt werden. Den wirtschaftstheoretischen Bereich berühren gleich zwei Beiträge: Neville Morley weist in seinem Überblicksbeitrag zur theoretischen Erfassung und Beschreibung des Marktes (103-122) zunächst auf die notwendige Differenzierung von konkreten „Märkten" und dem Abstractum „Markt" hin; dem von ihm postulierten dreischrittigen Forschungskonsens – daß es „Markt" in der Antike gegeben habe, daß dieser jedoch in vielerlei Hinsicht beschränkt gewesen sei und daß zur Erklärung des Phänomens nicht nur rein wirtschaftstheoretische Ansätze herangezogen werden dürften – läßt er eine Abrechnung mit den momentan vorherrschenden Wirtschaftstheorien folgen. Deren Modellentwicklungen, namentlich eines stets rational handelnden homo oeconomicus, beschreibt er zwar als anregend, aber letztlich fehlleitend. An deren Stelle möchte er den zukünftigen Fokus (1) auf die Betrachtung mikroökonomischer Entwicklungen auf einzelnen Märkten unter Einbeziehung beispielsweise sozialwissenschaftlicher und juristischer Perspektiven, (2) die Bedingungen für den Austausch zwischen diesen Einzelmärkten sowie (3) Fragen der Entwicklung und Krisen solcher Märkte legen. Umgekehrt geht Christian Dirninger von der berühmten aristotelischen Durchdringung der Ökonomie, namentlich in der von Aristoteles oder aus seinem Schülerkreis stammenden Oikonomika aus und umreißt deren Einfluß, aber auch Weiterführung in modernen Wirtschaftslehren (25-41). Wenn er hinsichtlich der ordnungstheoretischen Dimension, besonders bezüglich der proportionalen Gerechtigkeits- anstelle der Verteilungsgerechtigkeitsvorstellung, sowie der funktionsbezogenen Dimension, vor allem des Geldes und der Erwerbskunst (Chrematistik), wesentliche Impulse für die neuzeitlichen Wirtschaftslehren sieht und dies exemplarisch festmacht, weist er auf die doppelte Funktion des aristotelischen Gebäudes als Referenzpunkt wie Gegenbild zu momentan vorherrschenden kapitalistischen Marktlehren hin. Letztlich trifft er damit genau den sehr viel tiefgreifenderen Ansatz einer Tagung des Exzellenzclusters Topoi zu dieser Thematik.4 Helmut Eymannsberger von der Wirtschaftskammer Salzburg weist in seinem Beitrag „Trends im (Lebensmittel-)Handel. Gestern – Heute – Morgen" (43-67) auf die modernen Funktionen des Handels in der Vernetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft hin, wobei er neben primär ökonomischen Funktionen insbesondere die Distribution, Kommunikation und Servicebegleitung von Handelswaren in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt. Die von ihm entwickelten „Trends" geben dabei Anregungen, über Analogien in der antiken Welt nachzudenken. Letzteres kennzeichnet den Ansatz von Nick Rauh, Carolin Autret und John Lund, welche die bekannten Amphorenformen und deren Entwicklung unter einem neuen Aspekt, nämlich der Marketing-Funktion untersuchen (145-173). Wenn dies vielleicht nicht die primäre, aber doch eine sekundäre Funktionsentwicklung darstellt, können die Amphoren auch vertiefende Einblicke in wirtschaftliche Entwicklungsprozesse, beispielsweise den klein- oder großräumigen Handel, geben; zu Recht unterstreichen die Autoren dabei, daß stets die verschiedenen Amphoren-Funktionen zusammengedacht werden müssen, um nicht einer verzerrten Wahrnehmung zu unterliegen. Insofern müßten nach Ansicht des Rezensenten auch noch weitere Transport- und Aufbewahrungsgefäße mit in eine umfassendere Funktionen-Analyse einbezogen werden. Der von Neville Morley aufgeworfenen Perspektive einer Analyse mikro- wie makroökonomischer Strukturen gehen gleich vier Beiträge nach: Peter Herz löst sich von der reinen Verhandlung von Waren auf dem Markt und beschreibt die notwendigen Produktionsschritte für die Herstellung einer Ware, um davon ausgehend die Möglichkeiten auszuloten, über die gut erforschten Amphoren hinausgehend etwas über weitere Handelswaren eruieren zu können (71-85); seiner Einschätzung, daß erst durch den Einbezug naturwissenschaftlich-archäometrischer Methoden, der Zusammenschau der verschiedenen Quellengattungen sowie vorsichtiger Analogieschlüsse, etwa aus dem Mittelalter, weitere Forschungsfelder eröffnet werden können, ist vollauf zuzustimmen. Dominic Rathbone, sicherlich einer der profiliertesten Kenner der Wirtschaft des römischen Ägpyten, analysiert das fragmentarisch auf uns gekommene Haushaltsbuch des Kronion aus Tebtunis (123-143). Die dokumentierten Aussagen lassen dabei zum Beispiel sowohl Netzwerke dieses Schreibers als auch das Zusammenwirken der überregionalen Silber- wie lokalen Bronzewährung zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftskreislaufes deutlich werden. Letzteres könnte sicherlich die numismatische Forschung zur tiefergehenden Untersuchung der Funktionen von Kleingeldprägungen im Römischen Reich anregen. Ingomar Weiler steuert einen Beitrag zur „Ware Mensch", den Sklavenmarkt, bei (229-253). Die fragmentarische Quellenlage zum Sklavenhandel im Römischen Reich sowie den stets mitschwingenden antiken wie modernen Moraldiskurs erweist er dabei deutlich. Das von ihm beklagte Fehlen komparatistischer Ansätze zum Sklavenhandel ist dabei (nicht nur) aus Sicht des Rezensenten den doch unterschiedlichen Strukturen von Sklaverei und Unfreiheit in Antike wie Moderne geschuldet. Insofern kann auch hier erst die Zusammenschau der unterschiedlichen antiken Quellengattungen die Strukturen des Sklavenhandels näher beleuchten.5 Auf die wichtige Interdependenz von Krisen wie Katastrophen und ökonomischen Entwicklungen macht schließlich Christian Rohr anhand der Städte Wels und Krems aufmerksam (183-211). Die Rekonstruktion der Relationen von Materialbedarf und Hochwasserschäden aufgrund von Brückenbüchern wie die von politisch-sozialen Kommunikationsmustern geprägten „Hilfsgesuche" bei (vermeintlichen) Naturkatastrophen in Mittelalter und Früher Neuzeit erweisen noch einmal exemplarisch die „Ordnungsrahmen", in denen die vormodernen „Märkte" und Ökonomien plaziert waren. Alles in allem bleibt das Verdienst dieses Bandes, für die Rekonstruktion dieser Markt-Ordnungsrahmen wichtige Bausteine geliefert zu haben, die bei anderer Anordnung und aufgezeigter Verknüpfung einzelner Beiträge sicherlich ein (noch) stabileres Fundament hätten liefern können.
Notes:
1. Walter Scheidel / Ian Morris / Richard P. Saller (eds.), The Cambridge Economic History of the Greco-Roman World, Cambridge; New York 2007.
2. Vgl. die Website mit dem methodischen Ansatz sowie den bereits erfolgten und geplanten Publikationen: Oxford Roman Economy Project
3. Für den bislang eher vernachlässigten Bereich „Griechenland" sei auf das Teilprojekt B-3 „Ökonomie/Oikonomia" des Exzellenzclusters „Topoi" in Berlin verwiesen: Topoi-Teilprojekt B-3 „Ökonomie/Oikonomia". Aktuelle Trends verzeichnet regelmäßig die Fachzeitschrift „Marburger Beiträge zur antiken Handels-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte" (MBAHWS): MBAH. Zum einem anderen konzeptionellen Ansatz, nämlich demjenigen von „Ordnungsrahmen", arbeitet der Rezensent; vgl. dazu die ersten, obgleich noch nicht vollständig diesem Ansatz verpflichtenden Beiträge in: S. Günther (Hrsg.): Ordnungsrahmen antiker Ökonomien. Ordnungskonzepte und Steuerungsmechanismen antiker Wirtschaftssysteme im Vergleich. Philippika: Marburger Altertumskundliche Abhandlungen 53. Wiesbaden 2012.
4. Internationale Tagung „Oikonomia und Chrematistike. Wissen und Strukturen von „Wirtschaft" im antiken und frühneuzeitlichen Europa, Exzellenzcluster Topoi, Berlin, 7./8.11.2013; vgl. das Tagungsprogramm unter: Topoi-Tagung „Oikonomia und Chrematistike".
5. Vgl. beispielsweise die Hypothesen des Rezensenten zur realistischen Berechnung der Freilassungssteuer (vicesima libertatis vel manumissionum) durch die privaten Zollpächter über institutionelle Verfahren oder beispielsweise die parallele Beauftragung mit dem Einzug der Sklavenverkaufssteuer (quinta et vicesima venalium mancipiorum): Sven Günther, Vectigalia nervos esse rei publicae. Die indirekten Steuern in der Römischen Kaiserzeit von Augustus bis Diokletian. Philippika: Marburger Altertumskundliche Abhandlungen 26. Wiesbaden 2008, 118-126.
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