Reviewed by Johannes Breuer, Johannes Gutenberg-Universität Mainz (breuerj@uni-mainz.de)
Der augusteische Dichter Horaz zählt nicht nur zweifellos zu den zentralen Autoren der römischen Literatur, sondern besticht auch durch die thematische und formale Vielfalt seines Schaffens. Da das wissenschaftliche Interesse an seinem Œuvre dementsprechend groß ist und die Flut der Forschungsliteratur nicht abreißt, ist es wohlbegründet, daß der ausgewiesene Kenner der augusteischen Literatur Hans-Christian Günther mit vier Mitstreitern den in den letzten Jahren erschienenen Einführungen zu Horaz1 nun einen weiteren Companion zur Seite gestellt hat. Abgesehen von einem einführenden Kapitel zu Horazens Biographie und Werk sowie zwei abschließenden Übersichten zu Sprache, Stil und Metrik sowie zur Überlieferungsgeschichte ist der Band nach literarischen Gattungen geordnet, wobei jedoch zahlreiche Querverweise den Gesamtbefund über die Genosgrenzen hinweg deutlich werden lassen. In seinem Anspruch, „a kind of paraphrastic interpretation of Horace's works" (IX) zu bieten, schließt sich der Companion methodisch an Fraenkel und Syndikus an, auf deren zweifellos grundlegende Untersuchungen2 auch immer wieder rekurriert wird. Irritierend wirkt hingegen, daß Günther programmatisch von der modernen Theorie spricht und sie in toto undifferenziert verwirft,3 ohne z.B. die ja auch von ihm zu Recht berücksichtigte Intertextualitätsforschung von diesem Verdikt auszunehmen. Horazens Leben und Werk werden von Günther umfassend in Auseinandersetzung mit Passagen aus dem Œuvre des Dichters selbst dargestellt, wobei er jedoch davon ausgeht, daß diese als poetische Transformationen nur einige wenige Einblicke in die historische Biographie bieten; Horaz präsentiere eine ideale persona seiner selbst, die auf die erlebte Erfahrung hinter dem Gesagten deute. Günther verleiht Horazens Biographie farbige Kontur durch zahlreiche Vergleiche mit historischen Persönlichkeiten, etwa mit Cusanus, Tizian oder Racine. Hervorzuheben ist, daß Günther die von Horaz in epist. 2,2 zum Ausdruck gebrachte paupertas nach Philippi als spirituelle Armut, als Symbol einer Krise und Neuorientierung auffaßt (27ff.). Auch wird Horaz gegen den Vorwurf des Sexismus sowie des politischen Opportunismus überzeugend durch historische Kontextualisierung in Schutz genommen. Edward Courtney feuert zunächst eine Breitseite auf die zeitgenössische Forschung ab4 und bespricht dann die Satiren einzeln nacheinander, wobei er die Eindrücke der Rezipienten bei der sequenziellen Lektüre nachzeichnet. Die paraphrasierenden Interpretationen beziehen dabei Parallelstellen aus Horaz und möglichen Praetexten mit ein. Übergreifende Aspekte werden in einem Exkurs zu den Namensnennungen in den Satiren, in der Würdigung von Buch I und II als Gedichtsammlungen sowie in einem abschließenden, knapp drei Seiten umfassenden „overview" behandelt. Plausibel erscheint hier insbesondere die These, die Zurücknahme von Horaz als Person in Buch II sei eine Reaktion auf Aversionen, die aus der Anlage von Buch I resultierten. Daß die Satiren großenteils einen Kanon von petenda und fugienda etablieren wollen, ist treffend beobachtet und prägnant formuliert (166f.); in dieses Schema hätten auch noch Horazens literarische Reflexionen eingeordnet werden können. Vor der Behandlung der zu Blöcken zusammengefaßten Epoden betont Günther die Bedeutung der in ihnen enthaltenen expliziten poetologischen Aussagen gegenüber den impliziten Anspielungen für die literaturkritische Würdigung (174ff.) und erklärt überzeugend die Prominenz des Archilochos als expliziten Vorbildes daraus, daß der Rückgriff auf Kallimachos seit den Neoterikern ohnehin als selbstverständlich vorausgesetzt worden sei. Von den vielen interessanten Darlegungen können hier nur die folgenden benannt werden: In epod.14 sieht Günther einen Grundzug der horazischen Liebesdichtung vorgeprägt: das nicht-leidenschaftliche, distanziert-beobachtende Schreiben über die eigenen Gefühle (205); ferner spricht er sich zum Chronologie-Problem zwischen der 16. Epode und Vergils 4. Ekloge für die Priorität Vergils aus (209). Ihrer Bedeutung entsprechend, werden die Oden-Bücher I-III von Günther am ausführlichsten behandelt. Nach einleitenden Bemerkungen zu chronologischen und strukturellen Fragen werden zunächst die sogenannten Parade-Oden (carm. 1,1-9) nacheinander interpretiert; im Anschluß werden Gedichte innerhalb größerer thematischer Einheiten behandelt („The Poet and the Divine", „The Philosophical Poems", „'Wein, Weib und Gesang'" sowie „Political and Panegyric Poetry", wobei am Ende des letzten Blocks die Römeroden wiederum nacheinander besprochen werden). Dabei wird der auf S. 220f. artikulierte Anspruch, die Gedichte jeweils für sich, aber auch unter Einbeziehung ihrer Position in der Sammlung zu würdigen, souverän erfüllt; Praetexte, horazische Parallel- und Kontraststellen und auch stilistisch-strukturelle Fragen werden angemessen berücksichtigt. Aus der Vielzahl interessanter Ausführungen sollen die folgenden hervorgehoben werden: Das Verhältnis von Dichtung und Wirklichkeit in den Oden beschreibt Günther folgendermaßen: „In this ideal world of poetry there is no room for the particular […]. It does not depict life in its specific passing expressions, it encompasses life in the manifestations of their timeless significance" (231f.). Aufschlußreich sind auch die Hinweise auf Unterschiede zwischen der hellenistischen und der augusteischen recusatio (256ff.) sowie deren Entwicklung. Insgesamt verficht Günther die plausible These, daß Maecenas und Augustus Literaten natürlich in der Erwartung gefördert hätten, daß diese sich in ihren Werken affirmativ zum System äußerten, daß jedoch keine konkreten „Aufträge" oder „Bestellungen" erteilt worden seien (261); ergänzt wird diese Sicht später noch durch Erläuertungen zu epist. 2,2 (494f.). In diese Linie fügt sich auch die Deutung der Junorede in carm. 3,3 ein, die zuweilen als Reaktion auf Pläne gedeutet wurde, die Hauptstadt des Reiches in den Osten zu verlegen: Derartige Gerüchte seien Teil der augusteischen Propaganda gewesen, und Horazens Gedicht spiegele vielmehr die Selbststilisierung des Regimes wider, als konkret eine tagespolitische Position zu beziehen (388f.). Sehr lesenswert sind auch die Problematisierung der Begriffe Glaube und Religiosität, die antike und moderne Konzepte kontrastiert, (284ff.) sowie die Differenzierung zwischen den Konzeptionen des Glücks bei Epikur und bei Horaz (302ff.). Als Hauptzug der horazischen Liebslyrik wird „the love of the elderly man" (345) herausgestellt, verbunden mit dem Element der Selbstbeobachtung von außen (355), in der Günther einen charakteristischen Zug der horazischen Dichtung sieht und die er erfrischenderweise mit dem von Sueton kolportierten Detail verknüpft, Horaz habe sein Schlafzimmer mit Spiegeln ausgestattet. Elaine Fantham führt den Leser durch das erste Episteln-Buch. Die einzelnen Gedichte werden großenteils paraphrasierend interpretiert, wobei auch literarischen Vorbildern und der Prosopographie der Adressaten Aufmerksamkeit zuteil wird. Im Gegensatz zu Günthers zuweilen apodiktischem Stil wirft Fantham viele Fragen zur Deutung einzelner Aspekte auf, ohne darauf eine endgültige Antwort zu geben. Das Kapitel endet mit der Besprechung des letzten Briefes; eine übergreifende abschließende Würdigung fehlt. Das carmen saeculare wird wiederum von Günther behandelt, der insbesondere betont, ein wie herausragendes Ereignis die Aufführung dieses Liedes im Rahmen der Saekularfeier sowohl für Horaz als auch für die Rolle der Poesie in Rom insgesamt darstellte. Der Leser erhält profunde Informationen zur sprachlichen Gestaltung und zur Gedankenführung dieses Werkes, dessen Charakter als auch ästhetisch gelungenes „Propagandawerk" in einer diachronen Perspektive (Günther wendet seinen Blick zum japanischen Kaiserhof und ins Rußland des frühen 20. Jh.s) gewürdigt wird. Das vierte Oden-Buch wird von Fantham wiederum weitgehend Gedicht für Gedicht paraphrasierend interpretiert, während 4,3 und 4,6 miteinander kontrastiert werden. Abermals werden viele Interpretationsansätze in Form von Fragen vorgetragen; zusammengeführt werden die Beobachtungen in einem abschließenden Kapitel über den Zusammenhang zwischen Dichtung, Musik und ihrer verewigenden Wirkung, in dem Horazens nunmehr modifizierte Auffassung von Dichtung beschrieben wird; dabei wird die Verschiebung des Fokus von Alkaios und Sappho als dominierenden Vorbildern hin zu Pindar und Simonides überzeugend als Spiegelung des Wechsels vom Privat-Sympotischen hin zur öffentlichen Panegyrik gedeutet. Günthers Behandlung des zweiten Episteln-Buches zeichnet detailliert den Gedankengang der Gedichte nach und zeigt auf, wie die aus vielen verschiedenen Bereichen stammenden Bilder miteinander verknüpft sind. Als Hauptthema des Florus-Briefes arbeitet er die enge Verknüpfung von ethischen und poetologischen Anliegen heraus (484); gerade das Wissen um die hohen künstlerischen Ansprüche, die an Dichtung zu stellen seien, frustriere Horaz (480), und die philosophische „Halb-Poesie" der Episteln sei sein Versuch, mit seinem eigenen Leben zurechtzukommen (484). Originell ist bei der Behandlung der Augustus-Epistel, daß die Prominenz des Dramas in diesem Brief aus dem persönlichen Geschmack des Prinzeps erklärt wird – in für die Satiren und Episteln typischer Weise werde ein Fehler (eben das Faible des Augustus für diese Gattung) getadelt. Schließlich problematisiert Tobias Reinhardt bei der Besprechung der ars poetica den Umstand, daß Horaz überhaupt ein solches Werk vorgelegt hat, während er doch sonst die im Allgemeinen ergiebigere Form des „immanent theorizing" inklusive poetologischer Reflexion bevorzugt habe (500). Auch Divergenzen zwischen in der ars geäußerten Standpunkten und im übrigen Werk vertretenen Ansichten (z.B. Bedeutung des Handwerklich-Regelvollen beim Dichten vs. von bacchischem furor ergriffene Dichter-persona in den Oden) werden deutlich gemacht. Nach einem informativen Vergleich zwischen der ars und Aristoteles' Poetik interpretiert Reinhardt überzeugend zentrale Passagen des Werkes, das er auch von einer Spannung zwischen den Empfängern und dem Verfasser geprägt sieht, insofern die Pisonen höheren sozialen Status, Horaz jedoch höhere poetische Kompetenz für sich beanspruchen könne. Bei der Diskussion möglicher Intentionen der ars spricht Reinhardt auch die These an, das Werk könne einen der Pisonen von dilettantischem Dichten abhalten wollen und somit auch metaphorisch die für einen römischen Aristokraten angemessene Verhaltensweise umreißen (522f.). Abgerundet wird der Companion zum einen durch ein Kapitel über „Language, Style, and Metre in Horace" von Peter E. Knox, der sich u.a. mit dem Problem „unpoetischer" Wörter (die er lieber als „neutral" qualifiziert sehen möchte), mit dem Konzept der callida iunctura und dem „strategic placement of nouns and epithets" (539) auseinandersetzt. Seine Darlegungen weisen nach, wie angemessen seine Ausgangsannahme ist: „With Horace it is better to speak of the evolution of his many styles than to consider the body of his work as a monolithic whole" (527). Zum anderen informiert Courtney über die Textgeschichte des horazischen Werkes und entwirft anhand sehr detaillierter Einzelübersichten ein Stemma verschiedener Handschriften(gruppen), deren älteste aus dem 9. Jh. stammt. Ein Kapitel zu Horazens Rezeption enthält der Band nicht. Einige Punkte schmälern den sehr positiven Gesamteindruck jedoch etwas: Die Zahl der redaktionellen Versehen, die sich insbesondere in den vom Herausgeber verfaßten Kapiteln häufen, ist für ein Buch dieses Anspruches und dieser Preisklasse inakzeptabel.5 Für den Benutzer unpraktisch ist, daß Beiträge in Sammelbänden nicht eigens im Literaturverzeichnis aufgeführt sind, was etwa Fernleihen unnötig erschwert. Schließlich vermißt man bei der berücksichtigten Literatur z.B. die Standardwerke von Gall, Krasser und Maurach,6 was gerade angesichts des ausgeprägten Interesses an der horazischen Bilderwelt und Religiosität sowie der Klage über das Fehlen einer umfassenden neueren Monographie zu Horaz (X) verwundert. Insgesamt aber ist der Companion sehr zu empfehlen: Einsteiger auf dem Gebiet der Horazforschung oder der augusteischen Dichtung, für die alle Zitate auch in Übersetzung angeführt sind, werden eine verläßliche Orientierung zu den verschiedenen Gattungen sowie zu fast allen Gedichten finden; aber auch Kenner der Materie werden zahlreiche neue und stimulierende Einblicke gewinnen können.
Notes:
1. Stephen J. Harrison (Hg.), The Cambridge Companion to Horace, Cambridge 2007; Gregson Davis (Hg.), A Companion to Horace, Chichester/Malden, MA 2010.
2. Eduard Fraenkel, Horace, Oxford 1957; Hans Peter Syndikus, Die Lyrik des Horaz. Eine Interpretation der Oden, 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Darmstadt 2001 (2 Bände).
3. „Suffice it to say that modern theory is nothing but a misapplication of half-understood philosophies (or sometimes pseudophilosophies) to literary criticism […]; that the advance in knowledge or understanding gained by such a procedure is virtually nil, is no wonder" (X).
4. „Nowadays it is inevitable that there has been an efflorescence of manic, undisciplined, self-indulgent over-interpretation (though 'interpretation' is hardly the right word); no space is wasted on this. Of course there also exists much constructive, or at least harmless, work on the Satires [...]" (63).
5. Hierbei handelt es sich u.a. um Tippfehler (z.B. X: „sudies" statt „studies", XII: „Klinger" statt „Klingner", 311: „Terefore"), Reste früherer Formulierungen (z.B. 8: „which he as attributes"; 9: „of the his childhood landscape", 369: „Only in the concluding triad […] does the poem gains momentum", 372: „Not by chance did the situation [...] becomes"), Verschreibungen im lateinischen Text (u.a. 17: simi statt sim, 393: vestries statt vestris, 416: votive statt votiva, 429: police statt pollice), Inkongruenzen zwischen Originaltext und englischer Übersetzung (189: si […] petiverit unübersetzt, 300f.: dixisse […] vel unübersetzt, 524f.: die 6 abschließenden Verse unübersetzt) sowie sogar die Verwendung griechischer Schriftzeichen für die englischen Wörter „being" und „own" (328).
6. Dorothee Gall, Die Bilder der horazischen Lyrik, Königstein/Ts. 1981; Helmut Krasser, Horazische Denkfiguren: Theophilie und Theophanie als Medium der poetischen Selbstdarstellung des Odendichters, Göttingen 1995; Gregor Maurach, Horaz. Werk und Leben, Heidelberg 2001.
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