Reviewed by Andrea Binsfeld, Université du Luxembourg (andrea.binsfeld@uni.lu)
[Authors and titles are listed at the end of the review.] Wie der Titel penser l'esclavage bereits andeutet, ist das Ziel des Bandes, der Sklaverei als kultur-, zeit- und raumübergreifendem Phänomen gerecht zu werden, indem man methodisch fachübergreifend über die Sklaverei nachdenkt. So werden Methoden und Problematiken der Erforschung der modernen Sklaverei herangezogen, um neue Zugänge zur antiken Sklaverei zu gewinnen. Auf diese Weise soll deutlich werden, welche Formen von Sklaverei und Abhängigkeit für die jeweilige Zeit spezifisch und welche Charakteristika sklavereiimmanent sind. Der Band umfasst acht Beiträge eines Kolloquiums zum Thema „Penser l'esclavage de l'antiquité à nos jours", das in Besançon am 28./29. November 2008 stattfand. Die Autoren gehören zumeist der Forschergruppe des Institut des Sciences et Techniques de l'Antiquité der Université de Franche-Comté an, aus der sich auch die Groupe International de recherches sur l'Esclavage dans l'Antiquité (GIREA) speist. Dementsprechend spiegeln auch die Beiträge des vorliegenden Bandes Forschungsprioritäten und -methoden von GIREA wider: die vergleichenden Studien, die Historische Anthropologie, lexikalische Analysen, der Fokus auf ökonomische Aspekte der Sklaverei und der Blick über die Antike hinaus auf moderne Formen der Sklaverei und Abhängigkeit. Mit der Sklaverei als sozio-ökonomischem Phänomen beschäftigt sich der Beitrag von Jacques Annequin. Er konstatiert eine Tendenz in der Forschung, sich mehr mit Fragen der Demographie und des Marktes zu beschäftigen als mit der Sklavenarbeit und ihrer Organisation oder mit den antiken Texten zur oikonomia. Annequin stellt daher erneut die Frage nach der Natur der Sklaverei, der Bewertung der Sklavenarbeit und ihrer Bedeutung für die antike Wirtschaft. Er plädiert dafür, den Einsatz von Sklaven in seiner jeweiligen historischen und sozialen Dimension zu bewerten, um auf diese Art und Weise eindimensionale Deutung der Sklaverei zu vermeiden, die insbesondere den ökonomischen Aspekt der Sklaverei vernachlässigen. Alessandro Stella zeigt in seinem Aufsatz, welchen Problematiken die Sklavereiforschung unterliegt: Zum einen müsse man sich bewusst machen, wie die persönlichen Überzeugungen des Autors und seine politischen Zielsetzungen seine Forschung beeinflussen. Als Beispiel führt er Henri Wallon an, dessen Arbeit zum einen von der Überzeugung getragen war, dass der Einfluss des Christentums zur vorläufigen Abschaffung der Sklaverei geführt habe, dessen Werk aber auch stark durch den Kampf für die Abolition des transatlantischen Sklavenhandels mit Amerika beeinflusst wurde. Gerade die Beschäftigung mit der transatlantischen Sklaverei, die als grausamer als die antike Sklaverei eingestuft werde, lasse sich leicht für aktuelle politische Zielsetzungen zweckentfremden. Ein weiteres Problem sieht Stella in der Auffassung der Sklaverei als eine Form der Arbeitsorganisation. Eine solche Definition werde der Sklaverei nicht gerecht, da sie dadurch auf vormoderne Wirtschaftsformen beschränkt werde und moderne Formen der Abhängigkeit bzw. der Sklaverei nicht berücksichtigt werden. Hinzu komme die Tendenz, den Umgang der jeweils eigenen Nation mit der Sklaverei zu verharmlosen. In den letzten Jahrzehnten habe die Sklavereiforschung jedoch Fortschritte gemacht und verstärkt die Sklaverei in Afrika, Asien und Südeuropa am Übergang von Mittelalter zur Neuzeit untersucht, ebenso wie die Sklaverei bei Christen und Muslimen. Schließlich warnt Stella vor schnellen Werturteilen über die Sklaverei und Stigmatisierung von Abhängigkeitsformen als Sklaverei. Colette Jourdain-Annequin zieht in ihrem Beitrag den Mythos als Quelle heran und untersucht, was die Erzählungen von Sklavenarbeiten, die Götter und Heroen - wie Herakles - verrichten müssen, zum Verständnis der Sklaverei als soziales Phänomen beitragen können. Sie analysiert insbesondere die Verwendung verschiedener Begriffe, wie doulos und latris, um Rückschlüsse auf die Form der beschriebenen Abhängigkeit, die Art der Arbeit und das Verhältnis Herr-Sklave zu ziehen. Mittels der Analyse der Wortbedeutungen von woikeus, doulos, petalai, thetes, oiketes oder therapontes kann Domingo Plácido Suarez Nuancen von Abhängigkeiten herausarbeiten und diese in Beziehung zur Entwicklung politischer und sozialer Institutionen setzen. Ihm stellt sich die Frage, welche Beziehung zwischen der Sklaverei und der Entwicklung der griechischen Kultur von der Zeit Homers bis zur Ausbildung einer demokratischen Gesellschaft bestehen und wie die Griechen selbst sich mit dem Thema Sklaverei auseinandergesetzt haben (z.B. Aristoteles mit seiner Theorie vom "Sklaven von Natur"). Darüber hinaus bietet Plácido einen Überblick über die Historiographie zu diesen Themen und zeigt, wie die moderne Forschung, einschließlich der Forschergruppe GIREA, in ihrer Auffassung von Sklaverei politischen und intellektuellen Einflüssen unterliegt. Antonio Gonzales zeigt in seinem Beitrag, wie die Erforschung der antiken Sklaverei von der Beschäftigung mit der modernen, insbesondere der amerikanischen Sklaverei profitieren kann. Er legt dar, wie der Vergleich mit der amerikanischen Sklaverei den Blick für ähnliche Probleme in antiken Gesellschaften schärft: für Rassismen in der römischen Gesellschaft, für die Probleme der demographischen Erforschung der Sklaverei, für die Frage des Sklavennachwuchses, für Fragen der Rentabilität von Sklavenarbeit, für die Bewertung von freier und abhängiger Arbeit sowie für Rechtfertigungsstrategien der Sklavenbesitzer. Einen breiten Raum nimmt vor allem die Rezeption des stoischen Gedankens der humanitas im Umgang Herr-Sklave bzw. der Theorie des Aristoteles vom „Sklaven von Natur" ein. Die antiken Schriften lieferten entscheidende Argumente sowohl in der Kontroverse zwischen Las Casas und Sepulveda um die Versklavung der Indianer als auch für die Rechtfertigung der Versklavung von Afrikanern durch die Südstaaten der USA. Gonzales zeigt aber auch, wie stark nicht nur die klassisch-antike, sondern auch die jüdisch- christliche Überlieferung rezipiert wurde. Die Analyse europäischer Reiseberichte des 15.-18. Jh. steht im Mittelpunkt des Beitrages von Charles de Lespinay. In einem ersten Abschnitt veranschaulicht de Lespinay am Beispiel eines Lexikons aus dem 17. Jh., das verschiedene Sprachen des Senegal und Gambias vergleicht, die Problematik von Übersetzungen, die die differenzierten Abstufungen von Abhängigkeiten nicht adäquat zum Ausdruck bringen können. Die Folge waren Missverständnisse, wie zum Beispiel bei der Abgrenzung zwischen Sklave und Diener. Anhand einer Auswahl von Reiseberichten beschreibt er anschließend die Art und Weise der Versklavung der Afrikaner durch die Portugiesen, die Auflehnung der Afrikaner gegen die Praktiken der Portugiesen, die Organisation des Sklavenhandels durch die Afrikaner selbst und die Folgen des Sklavenhandels für die Staaten an der Westküste Afrikas. Abschließend geht er zudem auf ungewöhnliche Arten der Versklavung ein, wie z.B. infolge der Anklage wegen Hexerei, und auf die verschiedenen Formen vorübergehender und dauerhafter Sklaverei. Alberto Prieto beschäftigt sich mit der unterschiedlichen Verarbeitung der antiken und modernen Sklaverei im Film. Er behandelt die vielfältigen Aspekte der antiken und modernen Sklaverei an einem breiten Spektrum von Beispielen und zeigt, dass historische Korrektheit nicht die oberste Priorität dieser Filme ist, sondern dass sie häufig ein verzerrtes und simplifizierendes Bild der Sklaverei entwerfen. So werden Sklaven z.B. auf ihre Funktion als Gladiatoren reduziert, die sklavenhaltenden Perser werden den freiheitsliebenden Griechen gegenübergestellt und die heidnische römische Oberschicht als den Christen moralisch unterlegen charakterisiert. Im letzten Artikel des Bandes entwirft Olivier Pétré-Grenouilleau eine Typologie der verschiedenen Rechtfertigungsstrategien der Sklaverei. So wird Sklaverei als das geringere Übel dargestellt; man beruft sich darauf, dass die eigene Nation Sklaven besser behandele als andere; man argumentiert mit den angeblich positiven Ergebnissen der Sklaverei, die zu einer Integration der ehemaligen Sklaven geführt hätte, und schließlich beruft man sich auch auf die „Natürlichkeit" und Unvermeidbarkeit der Sklaverei, die ein notwendiges Stadium auf dem Weg von der Barbarei hin zu einem humaneren Miteinander bilde. Eine quasi unvermeidbare Folge dieser Idee, die sich auf eine naturgegebene Unterlegenheit physischer oder kultureller Art berufe, sei eine Rechtfertigung der Sklaverei, die sich auf rassistische Argumentationen stütze. Der Band zeigt die Problematik, aber auch die Möglichkeiten der Erforschung der antiken und der modernen Sklaverei und regt zur Offenheit gegenüber anderen historischen Disziplinen an. Er bietet zudem nicht nur einen Überblick über die französische und angelsächsische Forschung, sondern erlaubt vor allem einen Einblick in den aktuellen Stand der französischen Sklavereiforschung. Somit stellt der Band eine willkommene Ergänzung zu den parallel verlaufenden Bestrebungen der deutschen Sklavereiforschung dar, eine Brücke zwischen antiker und moderner Sklaverei zu schlagen und ein Resümee der letzten Jahrzehnte internationaler Sklavereiforschung zu ziehen. Table of Contents
Antonio Gonzales, Do ut facias. Prolégomènes pour penser l'esclavage et les autres formes de sujétion 7-14
Jacques Annequin, Que sont les esclaves devenus ? Sur la notion de « domination » et sur ses avatars 15-28
Alessandro Stella, Penser l'esclavage, librement 29-43
Colette Jourdain-Annequin, Étudier le mythe pour penser l'esclavage ? Quelques réflexions sur l'imaginaire des sociétés 45-61
Domingo Placido Suarez, L'étude des tensions entre formes de dependence en Grèce, de l'Archaïsme à l'Hellénisme 63-76
Antonio Gonzales, Histoire comparée de l'esclavage et construction historiographique, de l'Antiquité aujourd'hui via l'esclavage américain 77-110
Charles De Lespinay, Esclavages en Afrique noire : quelques données de l'époque moderne en Sénégambie 111- 136
Alberto Prieto Arciniega, Le cinéma change l'histoire de l'esclavage 137-162
Olivier Pétré-Grenouilleau, Des justifications de l'esclavage. Ou de quelques remarques sur esclavage et idéologie 163-185
Table des matières 187-187
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