Reviewed by Torsten Mattern, Universität Trier (mattern@uni-trier.de)
Die Grabungsbefunde in Kalydon spielen seit der wichtigen Publikation von Ejnar Dyggve und Frederik Poulsen für unsere Kenntnis griechischer Architektur eine bedeutende Rolle. Umso wichtiger ist es deswegen, daß die Feldforschungen seitens des dänischen Instituts in Athen in Kooperation mit der Ephorie in Mesolonghi wieder aufgenommen worden sind. Von 2001 bis 2005 wurde ein umfassendes Forschungsprojekt durchgeführt, dessen Ergebnisse 2011 in zwei Bänden – einem Textband und einem Katalogband – von Søren Dietz und Maria Stavropoulou-Gatsi als Herausgeberpaarvorgelegt wurde. Der erste Band ist in fünf Kapitel gegliedert, die den Forschungsschwerpunkten des Projektes entsprechen. Die Kapitel bestehen ihrerseits aus Einzelbeiträgen, die von wechselnden Autoren verfaßt worden sind. Nach einer Einführung in die Forschungsgeschichte Kalydons (Dietz – Stavropoulou-Gatsi), beschäftigt sich das erste Kapitel („The Town and the Landscape", K.S. Petersen – T. Smekalova – K. Methenithis – S. Dietz) zunächst mit der geographischen Einordnung und der Geoarchäologie des Gebietes. Es folgen darauf die Ergebnisse einer großflächigen geophysikalischen Prospektion (Magnetik) und eines Surveys. Vor allem die geophysikalischen Prospektionsergebnisse stellen einen enormen Erkenntnisgewinn dar. In dem natürlich anstehenden Boden zeichnen sich die Anomalien mit gewünschter Klarheit ab und lassen nicht nur Straßen und bebaute Areale, sondern auch Binnenstrukturen der Insulae erkennen. Die Geophysik bildete so die Grundlage für die anschließenden Grabungen. Das Kapitel wird durch einen Beitrag zur Stadtmauer und den Stadttoren abgeschlossen. Leider ist die Aufnahme der Befunde nur kursorisch erfolgt, Zeichnungen sind weitgehend unterblieben, so daß die abgedruckten Rekonstruktionspläne von drei Toren nicht überprüfbar sind. Auch wenn Zeit oder Personal auf Grabungen stets limitieren, so wäre eine steingerechte Aufnahme einiger ausgewählter Abschnitte doch wünschenswert gewesen, zumal offenbar partiell gegraben oder zumindest tief gereinigt werden konnte (z.B. Tor 4), die Zeichnungen also existieren müssen. Das folgende Kapitel („The Lower Town") behandelt die Grabungsergebnisse in dem Sektor D der Unterstadt. Hier konnte ein bemerkenswerter Befund partiell freigelegt werden, der ausführlich in drei Abschnitten behandelt wird (S. Dietz – J. T. Jensen): Ein Peristylbau mit drei Kulträumen an seiner Nordseite, die neben einer Inschriftenbasis Kopf, Hände und Fragmente der Füße einer weiblichen Akrolith-Kultstatue mit Mauerkrone (Meter?) sowie eine sitzende Löwenstatue, eine Herme und weitere Funde bargen. Die Rekonstruktion des Gebäudes ist überzeugend, wenn auch knapp und durch die sehr ähnliche Bezeichnung von Mauern, Schnitten und Räumen auch nicht ganz einfach nachzuvollziehen. Leider ist die Publikation der Kultstatue nur sehr kursorisch erfolgt. Weder ist die photographische Dokumentation ausreichend (die Abbildungen sind einerseits zu klein, andererseits fehlen z.B. Aufnahmen aller Seiten des Kopfes), noch ist die Datierung hinreichend erfolgt. Der allgemein und ohne Nennung von Vergleichen erfolgte Vorschlag in die erste Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. wird nur durch „The deity's sweet look, the deep cuttings in her hair and the delicate rendering of the neck" (S. 140) begründet. Das reicht für eine fundierte stilkritische Analyse keineswegs aus. Auch die etwas verdrehte Haltung des linken Armes vermag in der Rekonstruktion ohne Verweis auf Parallelen nicht recht zu überzeugen. So bleibt zu hoffen, daß sich eine weitere Publikation kontextual mit dem Kult, Kultstatuen und Kultgegenständen befassen wird. An die Grabung des Peristylbaus schließen sich in einem weiteren Abschnitt des Kapitels die Ergebnisse der Ausgrabung eines Töpferofens an (E. Ljung), ein wichtiger Befund, um lokale Produktionen zu untersuchen und vielleicht in den folgenden Jahren Ansätze zu einer Wirtschaftsgeschichte der Region zu liefern. Im folgenden Kapitel („The Akropolis") werden die Ergebnisse einer Grabung auf der Akropolis (Sektor H) behandelt (S. Dietz). Obwohl die Schnitte und ihre Ergebnisse isoliert liegen, gelingt es doch, einen überzeugenden Vorschlag zur Rekonstruktion eines großen, hellenistischen Gebäudes mit Mosaikböden zu entwickeln. Leider ist auch hier die Dokumentation der Mosaikböden nicht ausreichend, das Farbfoto läßt im Druck kaum das Dekorationsschema erahnen, Details bleiben gänzlich verborgen. Eine porträtierende Wiedergabe der Maueransichten erfolgt nicht, Bearbeitungsspuren sind nicht dokumentiert. Zudem scheinen Steine beziehungslos zu „schweben", da die Schichten und Bettungen nicht angegeben worden sind (z.B. Abb. 169). Am ärgerlichsten aber ist, daß wie auch in den meisten Plänen, so auch in Schnittzeichnungen keine Nivellements angegeben worden sind, so daß relative Höhen nicht zu überprüfen sind. Die zeichnerische Dokumentation ist so nicht nur stark vereinfachend, sondern auch lückenhaft, viele notwendige Aussagen werden so unmöglich. Die Akropolis war bis in byzantinische Zeit genutzt, wie die im nächsten Abschnitt vorgelegte Bearbeitung byzantinischer Ware zeigt (E. Bollen). Die byzantinische Besiedlung ist außerdem durch einen apsidialen Befund nachgewiesen (Kapitel „The Central Town", S. Dietz), der überzeugend als byzantinische Basilika gedeutet. Der erste Band schließt mit einem Kapitel „Various Studies" (S. Dietz – M. Stavropoulou-Gatsi – E. Bollen – J. Eiring – M. Burns), in dem in kleineren Abschnitten vor allem Keramikkomplexe und weitere Kleinfunde von protogeometrischer bis in hellenistischer Zeit ausgewertet werden. Der zweite Band beinhaltet die Kataloge der Grabungsareale mit den Kleinfunden: Architektonische Terrakotten, Vasen, Lampen, und Dachziegel, aber auch die Fundmünzen und Eisennägel aus dem Peristylbau in der Unterstadt. Insgesamt ist die Druckqualität der Bände ist gut, zu bemängeln ist aber der Umstand, daß die Pläne häufig zu klein abgedruckt worden sind, so daß Details nur mühselig zu erkennen sind. Ärgerlich ist der Umstand, daß viele der Strichzeichnungen und Pläne sich nicht an übliche Maßstäbe halten, so daß der Leser gezwungen ist, umzurechnen. Grundsätzlich fehlt der Publikation, was bei dem sorgfältigen und aufwendigen Druck unverständlich ist, ein im angemessenen Maßstab wiedergegebener Gesamtplan von Kalydon, z.B. als Faltplan. Der Leser bleibt so bei den Einzelflächen stets etwas im Unsicheren über ihre Lage der Areale und der räumlichen Kontexte. Da die Feldforschungen offenbar über den Berichtszeitraum hinweg fortgesetzt werden, ist von den Herausgebern zu wünschen, daß ein derartiger Plan noch folgen wird. Die Fortsetzung der Forschungen in Kalydon ist von hohem wissenschaftlichem Interesse. Es ist sehr erfreulich, daß die Ergebnisse der interdisziplinär breit angelegten Forschungen schnell und umfassend vorgelegt wurden. Die Grabungspublikation entspricht allerdings in manchen Aspekten, vor allem der Dokumentation, nicht dem üblichen Stand. Zudem ist auch eine übergeordnete Fragestellung nicht zu erkennen. Über das grundsätzliche Interesse an einer Stadt wie Kalydon hinaus, bleibt der Forschungsansatz des dänisch-griechischen Projektes unbekannt. Es ist ehrenwert, eine antike Stadt zu untersuchen und damit unsere Kenntnis grundsätzlich zu bereichern, doch wären übergeordnete Fragestellungen von großer Wichtigkeit: Sei es die besondere Lage in Aitolien oder die Region an sich, sei es die Transformation einer Stadt in einer bestimmten historischen Situation. Es bleibt zu hoffen, daß eine regionale oder historische Kontextualisierung der Ergebnisse in einem weiteren Band erfolgen wird und den Forschungen noch viele erfolgreiche Kampagnen beschieden sein werden.
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