Reviewed by Andreas Hofeneder, Universität Wien (andreas.hofeneder@univie.ac.at)
Gute Bücher zu besprechen, ist für jeden Rezensenten in jeglicher Hinsicht weit erfreulicher als schlechte. Und James H. Richardson hat mit dieser überarbeiteten Version seiner 2004 approbierten Dissertation ein sehr gutes, ja hervorragendes Buch vorgelegt, das sich nicht nur durch eine souveräne Beherrschung der antiken Quellen sowie eine solide Kenntnis der einschlägigen modernen Sekundärliteratur auszeichnet, sondern vor allem durch eine ideenreiche und wahrhaft innovative Betrachtungsweise der literarischen Überlieferung besticht. Ohne Übertreibung glaube ich sagen zu können, daß die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse von weitreichender Bedeutung sind und stimulierend für künftige Forschungen sein dürften. Meines Erachtens wird in Zukunft niemand, der an antiker Historiographie und/oder römischer Republik interessiert ist, an diesem Werk vorbeigehen können. Es bietet jedenfalls weit mehr als der allzu eng gefaßte Haupttitel The Fabii and the Gauls erahnen läßt. Gegliedert ist das Buch in drei Hauptkapitel, denen eine kurze Einführung (S. 9–15) vorangestellt ist und auf die ein „Epilogue" (S. 163–164), eine ausführliche Bibliographie (S. 165–174) sowie ein Sachindex (S. 175–186) folgen. Wichtig für das Verständnis der ganzen Arbeit sind die methodischen Vorbemerkungen in der Einführung (S. 12):The approach that has been taken in Chapters II and III of the book has deliberately tended very much towards the inclusive. That is to say, an extremely wide range of possible parallels and repetitions has been explored. Inevitably this may well have resulted in some forced arguments and tenuous inferences, and some suggestions that may not appear to be entirely persuasive. There are two reasons why this approach has nonetheless been adopted. Firstly, an unpersuasive connection is as useful as a persuasive one, even if only in a negative way, as it allows for the limits of the repetition and patterning to be tested. What counts as persuasive will, moreover, inevitably vary from person to person and so an inclusive approach will allow readers to assess the evidence as they wish and to discard whatever they find unconvincing. However, allowances must be made for ancient thinking too, and this is the second (and more important) reason why this approach has been adopted. One of the principal theses of this book is that people in antiquity were considerably more alert and more open to seeing repetition in behaviour and parallels in events than people are today, and that people in antiquity were more likely and more willing to draw connections between events than people are today. Consequently what may seem forced to modern tastes need not have done so to ancient.
Daß dem tatsächlich so war, wird im folgenden veranschaulicht am Beispiel der antiken Parallelisierung von Themistokles mit Coriolanus, deren Karrieren nach heutigem Verständnis keine oder nur oberflächliche Übereinstimmungen aufweisen. Das bei der Auswahl von Parallelen und Wiederholungen verfolgte Prinzip „besser zu viel als zu wenig" ist meines Erachtens gut begründet und gewinnbringend angewandt worden. Die allermeisten von Richardsons Schlußfolgerungen sind stichhaltig und überzeugend; daß sich vereinzelt auch solche finden, die mir etwas gezwungen erscheinen,1 deckt sich durchaus mit den von Richardson prognostizierten Erwartungen an seine Leser. Wenden wir uns aber dem Inhalt des Buches im Detail zu.
Das erste Kapitel („The influence of noble self-presentation on historical thought and historiography", S. 17–54) beschäftigt sich mit der bei den Römern gängigen Idee, derzufolge Mitglieder derselben gens gleiche oder ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, und mit den möglichen Konsequenzen, die diese Vorstellung für das historische Denken der Römer und die Ausgestaltung der historiographischen Tradition hatte. Zunächst wird an drei bekannten Beispielen (Iunii Bruti, Decii Mures und patrizische Claudii; S. 21–30) sehr schön illustriert, daß man von den einzelnen Mitgliedern einer gens ein Verhalten erwartete, das den Taten ihrer Vorfahren oder eines bestimmten Vorfahren entsprach. Wenngleich wir diese Vorstellung primär bei Geschichtsschreibern zu fassen vermögen, handelt es sich dabei keineswegs um ein rein literarisches oder historiographisches Phänomen, sondern um ein der römischen Mentalität allgemein vertrautes Denkschema (vgl. S. 30). Im Rest des Kapitels werden weitere antike exempla zur Untermauerung dieser These angeführt, worauf hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden kann. Zumindestens verweisen möchte ich aber doch auf zwei Einzelheiten. Zum einen auf die feine Beobachtung zu einer Eigenheit der annalistischen Überlieferung: „If repetition of behaviour, and so often therefore of events was plausible to a Roman mind, then the presence of 'doublets' in the tradition becomes much easier to understand …" (S. 38 Anm. 104). Zum anderen auf die sehr luziden Bemerkungen zur (aus heutiger Perspektive) unhistorischen Sicht der Römer auf ihre eigene Vergangenheit. Deren Unvermögen, diese als wesentlich verschieden von der eigenen Gegenwart zu imaginieren, hat weitreichende Folgen für die gesamte Tradition zum frühen Rom, wie am Beispiel des Romulus aufgezeigt wird (S. 52–54).
Im zweiten Hauptkapitel („The traditions of the Fabii", S. 57–113) wird am konkreten Fallbeispiel der gens Fabia vorexerziert, wie dieses stereotype Denken auf die Ausbildung der historiographischen Überlieferung Einfluß hatte. Die Wahl fiel deswegen auf die Fabii, weil bei diesen die standardisierte Darstellung nicht so offenkundig ist wie bei anderen gentes und daher von der bisherigen Forschung nur unzureichend erfaßt wurde. Man hat zwar schon seit langem erkannt, daß der berühmteste Vertreter dieser Familie, Q. Fabius Maximus Verrucosus, das Bild von älteren Angehörigen derselben gens nachträglich geprägt hat, etwa das von Q. Fabius Rullianus. Neu und von Richardson meisterhaft herausgearbeitet ist freilich das gewaltige Ausmaß, in welchem die Taten und das Verhalten des Cunctator auf die gesamte Tradition zu den frühen Fabii abfärbte. Die Fülle von originellen Beobachtungen machen dieses Kapitel meines Dafürhaltens zum spannendsten und besten des ohnehin sehr guten Buches.
Das dritte Kapitel („The Fabii and the Gauls", S. 115–162) schließlich bietet eine detaillierte Analyse der antiken Überlieferung zum Galliersturm auf Rom. Auch hier erweist sich Richardson als profunder Kenner einer wahrlich komplexen und seit langem heftig diskutierten Materie. Auf einen soliden Überblick über die keineswegs einheitliche antike Tradition (III.2. „The sack of Rome", S. 116–123) folgen im nächsten Unterkapitel (III.3. „History and tradition", S. 123–130) treffende Bemerkungen über die unhistorische Gesandtschaft der drei Fabii nach Clusium und die nicht weniger unhistorische Rolle des Camillus während der Gallierkatastrophe.2 Freilich müssen Richardsons eigene Versuche, die tatsächlichen geschichtlichen Abläufe zu rekonstruieren (S. 126–127 und 129–130), hypothetisch bleiben und dürften nicht ungeteilte Zustimmung finden. Im nächsten Abschnitt (III.4. „Athens and Rome", S. 130– 138) werden die ganz offensichtlichen Parallelen in der Überlieferung zum Galliersturm auf Rom mit derjenigen zur Einnahme Athens durch die Perser behandelt. Diese Übereinstimmungen sind nicht dem Zufall oder der gleichen historischen Situation geschuldet, sondern müssen als bewußte Übernahmen gewertet werden.3 Überzeugend wird auch dafür argumentiert, daß die Eroberung Roms bereits im 4. Jh. v. Chr. nach dem Modell Athens gestaltet wurde. Richardson stellt sich damit gegen die Ansicht von Marta Sordi, die Fabius Pictor als Erstverantwortlichen für diese Angleichung namhaft machen wollte.4 Überhaupt, und das ist als ein wesentliches Ergebnis der ganzen Untersuchung zu verbuchen, zeigt Richardson eine gesunde Skepsis hinsichtlich der Rolle einzelner Historiker bei der Ausgestaltung der Tradition (S. 152; vgl. S. 159–162):
It is better to seek several explanations, and arguments concerning ancient ideas about what is appropriate and what is plausible offer safer ground than arguments about what agenda one individual historian may or may not have had, and even more so when the work of the historian in question no longer exists. Such an approach helps to explain the sheer number of these parallels more easily and also helps to explain why these various patterns and repetitions were adopted and developed by subsequent historians.
Fazit: Ein durch und durch gelungenes Buch, das breiteste Rezeption verdient hat. Der inhaltlichen Qualität entspricht im übrigen die formale. Das angenehm lesbare und in einem sehr gepflegten Stil geschriebene Werk wurde gründlichst lektoriert und weist so gute wie keine Tippfehler auf.5
Notes:
1. Etwa die auf S. 37 geäußerte Vermutung, daß in Appians Bericht (Syr. 42) über den Galaterfeldzug des Manlius Vulso eine Anspielung auf die Karriere des Manlius Capitolinus vorliege: „Appian has Vulso hurl Gauls from Mount Olympus in Mysia. In the same way, Capitolinus had hurled the Gauls from the Capitol […]. Presumably Appian too could assume that his readers would notice the connection." Das scheint mir doch etwas konstruiert; der Gebrauch des Verbs κατακρημνίζω 'herabstürzen' in beiden Erzählungen ist wohl durch die gleichen Umstände bedingt und läßt sich nicht als Beweis für eine bewußte Parallelisierung werten. – Auch nicht vollends überzeugend finde ich die Vergleiche zwischen den Ereignissen an der Cremera und der Allia (S. 141–142).
2. Dazu nur eine Randbemerkung. Auf S. 128 heißt es: „In the words of T.J. Cornell […] Camillus is 'the most artificially contrived of all Rome's heroes'." Dieses Zitat von Tim J. Cornell (The Beginnings of Rome. Italy and Rome from the Bronze Age to the Punic Wars (c. 1000–264 BC). London & New York 1995, 317) ist zweifellos einem berühmten Dictum von Theodor Mommsen geschuldet (Römisches Strafrecht. Leipzig 1899, 1018 Anm. 2: „die verlogenste aller römischen Legenden, die Camillusfabel …").
3. Damit stellt sich Richardson vermutlich zu Recht gegen die Position von Jonathan H. C. Williams, Beyond the Rubicon. Romans and Gauls in Republican Italy. Oxford 2001, 153–155.
4. Marta Sordi, 'Il Campidoglio e l'invasione gallica del 386 a.C.', in: Marta Sordi (Hg.), I Santuari e la Guerra nel Mondo Classico. Mailand 1984, 82–91.
5. Auf S. 109 Anm. 271 muß es „Gefangenen" statt „Gefangen" heißen. Nicht ganz konsequent sind die Zitate aus den fragmentarisch überlieferten Büchern Appians und Cassius Dios notiert (vgl. etwa S. 13 Anm. 10, S. 88 Anm. 170, S. 108 Anm. 263 u. 265, S. 118 Anm. 17, S. 120 Anm. 28, S. 125 Anm. 56). Aber das sind Quisquilien.
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