Reviewed by Jochen Lückoff, Großalmerode (J.Lueckoff@t-online.de)
Florian Krüpe, Akademischer Rat am Fachbereich Alte Geschichte der Universität Marburg, hat seine im Jahr 2004 erschienene Dissertation Die Damnatio memoriae – Über die Vernichtung der Erinnerung. Eine Fallstudie zu Publius Septimius Geta (198-211) in redigierter Form vorgelegt. Die Auslöschung der öffentlichen Erinnerung an eine Person nach dem Tod eines amtierenden oder potentiellen Kaisers war ein probates Mittel im Kampf um die Beendigung einer Regentschaft oder zur Stabilisierung der Herrschaft eines neuen Kaisers. Die Wortverbindung damnatio memoriae ist modernen Ursprungs, in der Antike wurde der Vorgang in der Version memoria damnata oder memoriam accusare artikuliert. Zunächst wird in einem ersten Teil der Studie der Stand der wissenschaftlichen Forschung reflektiert und analysiert, sodann die formaljuristischen Grundlagen und Präliminarien zur Verhängung einer Memoriastrafe erläutert. Im Kontext dieser Memoriastrafe wird differenziert zwischen Bildnis- und Namensstrafe, wobei jene die Beseitigung des Antlitzes von Statuen, Münzen und Bildwerken, diese die Tilgung des Namens in Texten auf Stein umschreibt. Der Autor belegt anhand von Beispielen, dass es bereits in der mittleren römischen Republik und frühen Kaiserzeit zu sog. Hochverratsprozessen in Form einer perduellio oder eines crimen maiestatis gekommen ist. Prominenteste Beispiele hierfür sind in der Phase der Republik Marcus Manlius Capitolinus und Marcus Scribonius Libo Drusus sowie Gnaeus Calpurnius Piso in der tiberianischen Ära. Am Ende solcher Gerichtsverfahren stand in der Regel der Freitod der Beschuldigten. Vor dem Hintergrund der chronologischen Betrachtung des Vorwurfs des crimen maiestatis und der damit implizierten damnatio memoriae ist signifikant, dass in extenso unter dem Prinzipat des Kaisers Tiberius die Anzahl der Inkriminierten in die Höhe schnellt, belegbar an Personen wie Aelius Saturninus, Gaius Silius, Cremutius Cordes und Lucius Aelius Seianus. Die konsequente Anwendung der Memoriastrafe betraf primär aristokratische Männer aus hochgestellten Familien selbst in den entlegensten Landstrichen des Reiches, worüber der römische Historiker Tacitus in den Annalen profund und detailliert Zeugnis ablegt. In der Kaiserzeit ist unter den römischen Imperatoren Caligula der erste, der eines gewaltsamen Todes stirbt. Im Jahre 41 werden er und seine Familie von Prätorianern ermordet. In dem allgemeinen Chaos unmittelbar nach dem Attentat wurde seitens der Senatoren kurz darüber sinniert, ob man zur alten republikanischen Regierungsform zurückkehren solle, bevor der Onkel des Caligula, Claudius, von umherirrenden Soldaten auf den Schild gehoben wurde, so dass die Dynastie der julisch-claudischen Linie fortgesetzt werden konnte. In der Folgezeit wurde systematisch jede Erinnerung an die Herrschaft Caligulas in Schrift (Inschriften, Münzen) und Bild (Statuen) in allen Provinzen des Reiches getilgt. Ebenso erging es im 1. nachchristlichen Jahrhundert Nero (68) und Domitian (96), wobei Nero durch eigene Hand starb, Domitian hingegen Opfer eines Messerattentats seines Kämmerers wurde. Das methodische Vorgehen gegen diese in Ungenade gefallenen Caesaren setzte insofern für die folgenden Jahrhunderte Maßstäbe, als dass die post mortem einsetzende Bilderstürmerei von Rom ausgehend in allen Provinzen um sich griff und die epigraphisch-ikonographisch einsetzende Ausmerzung der Erinnerung an den Regenten mittels der erasio nominis et imaginis in den verschiedensten Regionen des Imperium Romanum gut dokumentiert ist. Die Zielsetzung war stets die vollständige Löschung des Angedenkens des Verblichenen, ein Umstand, der stets die Funktion der Stabilisierung der Herrschaft des nachfolgenden Kaisers erfüllte. Nach der für die römische Geschichte so segensreichen Ära der Adoptivkaiser (96-180) ist die Ermordung des Kaisers Commodus am letzten Tag des Jahres 192 ein markantes und gleichzeitig das einzige Beispiel für das Verfahren einer Memoriastrafe des 2. Jahrhunderts. Bildnisse und Porträts werden unmittelbar nach dem Ableben verstümmelt oder unkenntlich gemacht, Münzen und Standbilder eingeschmolzen sowie Inschriften eradiert. Der griechisch schreibende Historiker und Senator Cassius Dio, ein Zeitgenosse des Commodus, verunglimpft diesen posthum als Tyrannen, Gladiator, Jockey, Linkshänder und Zauberer. Diese persönliche Herabsetzung eines Kaisers aus literarischer Perspektive ist integraler Bestandteil des Verfahrens der damnatio memoriae, wobei der Autor für solcherlei Anschuldigungen den ultimativen Beweis schuldig bleibt. Die Fragilität der Memoriastrafe wird am Beispiel des Commodus manifest, da eo ipso die Selbstvergöttlichung Commodus zum zentralen Vorwurf seines tyrannischen Herrschaftsstils gemacht wurde, konträr dazu allerdings wenige Jahre später die Konsekration dieses verfemten Herrschers durch den Kaiser Septimius Severus Bestätigung erfährt. Eine Schwäche der Untersuchung Krüpes ist strukturell bedingt. Erst im letzten Drittel seiner Dissertation (S. 177- 268) widmet er sich dem gestellten Titelthema. Dies ist vorrangig der Tatsache geschuldet, dass die literarische Quellenlage zur Severerzeit zum einen quantitativ mehr als dürftig ist, zum anderen qualitativ die Quellensammlung der Historia Augusta, Herodian oder die Epitomatoren der Spätantike z.T. historisch Unhaltbares und Widersprüchliches mit geringem Quellenwert referieren. Die Exemplifikation der Löschung des Andenkens am Fallbeispiel Getas ist gedanklich nicht unproblematisch, weil dieser lediglich für einige Monate Mitregent seines Bruders Caracalla war. Die Ermordung Getas hatte ihre Ursache im verhängnisvollen Bruderzwist, war also privater Natur und keinesfalls politisch motiviert. Die Erhebung Getas zum Augustus erfolgte 210 und damit erst unmittelbar vor dem Tode des Dynastiegründers und Vaters Septimius Severus, als dieser die tödliche Rivalität der beiden Brüder Caracalla und Geta spürte. Die Ernennung empfand der charakterlich zur Brutalität neigende Caracalla als Kampfansage gegen seinen jovialen und allseits populären Bruder Geta. Die unversöhnliche Feindschaft zwischen den beiden Brüdern eskalierte unmittelbar nach dem Ableben des Vaters, so dass es nur eine Frage der Zeit war, wann es zu einer Katastrophe kommen sollte. Bei einer Zusammenkunft der beiden Brüder Ende des Jahres 211 geschah insofern das Unvorstellbare, als dass Caracalla seinen Bruder Geta, der unvorsichtiger Weise gegen seine Gewohnheit ohne Leibwache erschienen war, in Anwesenheit der gemeinsamen Mutter Julia Domna ermordete. Details und genauer Zeitpunkt der Tötung sind nicht mehr korrekt rekonstruierbar, da lediglich Cassius Dio als verlässliche Quelle Auskunft gibt, gesichert ist lediglich das Zeitintervall Dezember 211/Januar 212. Augenblicklich nach der Ermordung Getas setzte, intendiert durch Caracalla, eine Hinrichtungswelle ein, die alle mittelbaren und unmittelbaren Sympathisanten seines Bruders betraf. Singulär bezüglich der vollständigen Auslöschung der Erinnerung an Geta ist die systematische und gründliche Beseitigung der Münzen, Bildnisse, Porträtbüsten, Statuen und Inschriften, die die Erinnerung an diesen wachhielten. Getas damnatio memoriae ist im Rahmen der papyrologischen, epigraphischen, archäologischen und numismatischen Zeugnisse in den einzelnen Provinzen des Imperium Romanum minutiöser und präziser dokumentiert als jede andere der römischen Antike. Hierbei wird deutlich, dass die Beseitigung von nomen und imago des Toten weniger eine damnatio memoriae intendierte, sondern als transformatio memoriae zur Stabilisierung des neuen Herrschers fungierte. Krüpe resümiert in diesem Zusammenhang überzeugend, dass es primär nicht so sehr auf die Vernichtung von Erinnerung an die inkriminierte Person per se ankommt, als vielmehr auf deren Diskreditierung.1 Die Gliederung der wissenschaftlichen Untersuchung ist übersichtlich nach übergeordneten Gesichtspunkten und Unterpunkten konzipiert und klar strukturiert, die Lesbarkeit der Textpassagen gut. Leider sind nur epigraphische Quellen im Original abgedruckt, bei den literarischen Zeugnissen unterbleibt dies fast immer. Kleinere numerische und lexikalische Defizite wie die unkorrekte Wiedergabe von Getas Geburtsjahr 198 statt 189 auf dem Buchdeckel, das auf dem Buchrücken fehlerhafte damnatio memoria statt des grammatisch korrekten damnatio memoriae und die wiederholte Falschschreibung des Namens Caius statt Gaius sollten in einer zukünftigen Neuauflage beseitigt werden. Auf den Seiten 196 – 244 schildert Krüpe die administrative Umsetzung des Vollzugs der damnatio memoriae Getas in den Provinzen, wobei der Autor überzeugend und inhaltlich profund durch Heranziehung literarischer Zeugnisse zu dem Resümee gelangt, dass gerade in den Regionen, die in einer besonderen Beziehung zum Kaiserhaus standen, die Intensität der Durchführung am gründlichsten erfolgte. Substantiell in diesem Kontext besonders erwähnenswert ist die von Krüpe mit literarischen Belegstellen unterlegte orthographisch fehlerhafte Umsetzung der Verwaltungsmaßnahme. Konträr zur stets akribisch und profund vorgenommenen philologisch-historischen Betrachtung der administrativ vollzogenen damnatio memoriae Getas sind die Reflexion und Analyse der archäologischen Befunde zur Severerzeit dürftig und teilweise unbefriedigend. Neben kontroversen Ausführungen zum Severerbogen auf dem Forum Romanum (S. 227) und dem Severermonument (S. 234) in Sparta ist die Interpretation der dextrarum iunctio – Szene des Severerbogens von Leptis Magna schlicht inkorrekt (S. 235). Hierbei kommt Krüpe zu der fälschlichen Feststellung, dass der Getakopf erst den Witterungseinflüssen des 20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen sei und somit den Zerstörungsbefehl seines Bruders Caracalla überdauert habe. In Wirklichkeit jedoch blieb von Geta unmittelbar nach dessen Ermordung ikonographisch nur der Torso im Kontext der Severerfamilie zurück, während dessen Haupt unmittelbar neben dem Monument vergraben und erst später im Boden liegend wiederentdeckt wurde. Dabei hätten weitere interpretationswürdige Ansatzpunkte zur regional stark differierenden Handhabung der damnatio memoriae im Rahmen der ikonographischen Darstellung des Severerhauses im Allgemeinen und Getas im Besonderen diskutiert werden können. Das die Transformation und Destruktion kaiserlicher Porträts und Büsten infolge einer verhängten damnatio memoriae umfangreich analysierende und so eminent wichtige Werk von E. Varner bleibt aus diesem Grunde bedauerlicherweise unberücksichtigt.2 Verdienstvoll und wissenschaftlich innovativ ist die Herausstellung der Feststellung, dass ca. 36% aller Belegstellen, die überhaupt eine damnatio memoriae im chronologischen Kontext der römischen Geschichte dokumentieren, sich am Fallbeispiel Geta verifizieren lassen. Die unproportionale Präferierung der Thematik bezüglich der Republik ist unvermeidbar, ist doch die Dokumentation durch die Quellenlage zu dieser Zeit im Vergleich zur mittleren Kaiserzeit qualitativ und quantitativ weit günstiger. Daher wird notwendigerweise die vorrangige Intention der Dissertation, die Memoriastrafe schwerpunktartig am Fallbeispiel Getas zu verifizieren, thematisch in Relation zum Gesamtwerk marginalisiert. Abschließend und schlussfolgernd bleibt aber festzuhalten, dass das Prinzip und die Funktion der damnatio memoriae am Beispiel des Interimsmitregenten Geta anschaulich und facettenreich im historischen Kontext römischer Geschichte zur Darstellung gebracht werden. Ein umfangreicher Anhang mit einem Verzeichnis der Belegstellen von Getas damnatio memoriae in Inschriften und Papyri, zahlreiche Abbildungen von Triumphbögen, Bildnissen und Reliefs zur Familie der Severer, ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein Stellenregister zu literarischen, epigraphischen, papyrologischen Quellen und schließlich ein Namen- und Sachregister beschließen ein informatives und die wissenschaftliche Forschung bereicherndes Werk.
Notes:
1. Vgl. Charles W. Hedrick, History and Silence. Purge and Rehabilitation of Memory in Late Antiquity, London 2000, S. 93.
2. Eric R. Varner, Mutilation and transformation. Damnatio memoriae and Roman imperial portraiture, Leiden 2004.
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