Reviewed by Fabian Sieber, KU Leuven, Belgium (fabian.sieber@student.kuleuven.be)
Noch immer ist es ein außergewöhnliches Ereignis, wenn eine Monographie erscheint, die mehr oder weniger ausschließlich über Nonnos von Panopolis handelt. Wenn als Autor jedoch Robert Shorrock auftritt relativiert sich die Überraschung ein wenig, ist er doch seit Jahren als einer der wenigen wirklichen Experten auf diesem Gebiet bekannt. Bereits 2001 legte er den Titel „The Challenge of Epic: Allusive Engagement in the Dionysiaca of Nonnus" vor. 2005 folgte ein ausführlicher Beitrag über Nonnus im „Blackwell Companion to Ancient Epic". Das nun erschienene Buch, das in einem Zeitraum von 8 Jahren entstanden sein soll, zeigt darüber hinaus, dass Shorrock auch in der Lage ist, das Themengebiet allgemeinverständlich und für ein breiteres Publikum zu entwickeln. Zu Recht wurde der hier zu besprechende Titel deshalb in die von David Taylor herausgegebene Serie „Classical Literature and Society", aufgenommen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Themen der griechischen und römischen Literaturgeschichte textzentriert zu entwickeln und für ein breiteres Publikum zu erschließen. Shorrock gelingt es hervorragend diese Aufgabe zu erfüllen. Das Buch ist in vier Abschnitte gegliedert. Das einleitende 1.Kapitel benennt die methodologischen Vorüberlegungen auf denen die Untersuchung aufbaut; das 2.Kapitel beschreibt das literarische Feld, das in der Spätantike vorherrschte an Hand der beiden möglichen Ziele die der einzelne Dichter in den Blick nehmen konnte und durch die er sich entweder als „Dichter Christi" oder als „Dichter der Musen" erweisen konnte. Im 3. und 4. Kapitel wird diese Leitunterscheidung am Beispiel der christlich geprägten Paraphrase des Johannes-Evangeliums des Nonnos von Panopolis (= Dichter Christi) und an Hand der Dionysiaca (= Dichter der Musen) des selben Autors dargestellt. Das zusammenfassende 5.Kapitel verortet die im Verlauf der Detailanalyse erlangten Ergebnisse erneut im Kontext des allgemeinen literarischen und kulturellen Feldes der Spätantike wodurch die Begrenztheit der Dichotomie zwischen „pagan" und „christlich" endgültig vor Augen geführt wird, da der Nachweis geführt wird, dass das von Nonnos entwickelte Beispiel kein Einzelfall gewesen ist. Im Zentrum des ersten Kapitels stehen seine Anmerkungen zum Begriff des „Heiden" (Pagan). Er weist darauf hin, dass es sich hierbei um einen christlichen Kampfbegriff handelte, der „part of a complex process of the creation of Christian identity" ist (5). Und Shorrock führt aus, dies sei der Grund, weshalb er zögert, den Begriff überhaupt zu verwenden, schließlich sei er „reluctant to accept the implications and simplifications that arise by labelling such people as 'pagans' because of the rigid contrast with 'Christians' that this term implies" (6). Vor diesem Hintergrund erklärt sich der Titel des Buches, der dieses Unbehagen thematisiert und dadurch neutralisiert. Auch die Unterscheidung zwischen sakraler und profaner Dichtung, bzw. „The myth of secularity" ist demnach nicht geeignet, da durch diese Unterscheidung der Gegensatz zwischen Christen und Heiden lediglich in einem anderen begrifflichen Feld reproduziert wird, ohne die fragwürdige Vorannahmen zuvor zu revidieren. Shorrock selbst möchte nun versuchen griechische Literaturgeschichte zu schreiben, ohne auf diese fragwürdige Unterscheidung Bezug zu nehmen. Möglich werden soll dies durch die Konzentration auf die poetische „Persona" des jeweiligen Autors in der und durch die er seine Werke verfasst. Der Darstellung dieses neuen Konzepts ist das 2.Kapitel gewidmet. Ausgangspunkt hierfür ist der Briefwechsel zwischen Paulinus von Nola und Ausonius über Fragen der dichterischen Legitimation. In ihm, so Shorrock, werden alle entscheidenden Fragen behandelt. Und das betrifft nicht so sehr die Frage, ob es für Christen überhaupt statthaft ist, sich mit Dichtung zu beschäftigen, sondern die Frage woher die Inspiration stammt, aus der der Dichter schöpfen kann. Für den in der klassischen Tradition verorteten Dichter bilden hierfür natürlich die Musen die Garanten. Diese Töchter der Mnemosyne vermitteln dem Dichter was es zu erinnern lohnt und befähigen ihn dies in unvergängliche, poetische Worte zu fassen. Anders der christliche Dichter, der zunächst und vor allem den Einflüsterungen der Musen zu widerstehen bemüht ist, da alles was sie zu sagen haben, Lug und Trug ist. Die Wahrheit Christi scheint mit ihnen unvereinbar und in Konsequenz wäre es somit ausgeschlossen, christliche Themen in klassischer Sprache auszudrücken. Natürlich ist das nicht der Fall, wie die zahlreichen überlieferten Beispiele christlicher Poesie und christlicher Wertschätzung der antik-klassischen Kultur belegen. Erklärbar wird diese gleichzeitige Ablehnung und Wertschätzung durch die Annahme, zwischen dem einzelnem Autor und seinem Werk bestehe keine strikte Identität, da das Werk Ergebnis von Inspiration sei und insofern nicht der Kreativität des Autors entspringt, sondern Resultat göttlicher Eingebungen, bzw. der Einflüsterungen der Musen. So verstanden ist es natürlich denkbar, dass ein Autor im Prozess seines Schreibens ein Werk erzeugt, dass scheinbar zwischen christlicher und klassischer Kultur changiert. Daraus könnte dann aber nicht notwendig ein persönlicher Glaubenszwiespalt abgeleitet werden, in dem sich der Autor befand. Genausowenig muss, wie dies im Fall des Nonnos von Panopolis immer wieder getan wird, notwendig auf eine Konversion geschlossen werden, die der Autor vollzogen hat. Vielmehr scheint es, vor dem Hintergrund des von Shorrock entwickelten Modells, möglich solche uneindeutigen Werke, als Ausdruck einer spezifischen dichterischen Praxis zu verstehen, die eben nicht nur aus christlichen, bzw. nur aus klassischen Quellen schöpfte, sondern die Gesamtheit des kulturellen Erbes aufzunehmen bereit war. Shorrock exemplifiziert dieses Modell in den beiden folgenden Kapiteln 3 und 4 am Beispiel von Nonnos von Panopolis und seinem zwischen der klassischen Dionysiaca und einer christlichen Paraphrase des Johannes-Evangeliums changierenden Werkes. Die im 3.Kapitel dargestellte Paraphrase des Johannes-Evangeliums wird ausgehend von ihrer Vergleichbarkeit mit den Dionysiaca dargestellt. Das Hauptaugenmerk liegt deshalb auf der Analyse des Wein-Wunders bei der Hochzeit von Kanaa (Joh. 2,1-12) und auf der Analyse des Ich-bin-Wortes „Ich bin der wahre Weinstock" (Joh. 15,1-6) . Seine Schlussfolgerungen sind klar: „The Paraphrase does not present a simple mapping of Dionysiac imagery onto Christian; nor does it provide us with any neat conclusions about the relationship between Classical tradition and the Christian world. At the heart of the relationship between these two spheres lies an essential, one might say Dionysiac instability – a disturbing (yet exhilarating) refusal to dictate and determine meaning" (78). Auch die Analyse der Dionysiaca geht von ihrer Vergleichbarkeit mit der Paraphrase aus. Im Zentrum stehen die Passagen, die eine Analogie zwischen Dionysos und Christus implizieren, insbesondere im Rahmen seiner Geburt, sowie von Tod und Auferstehung. Ein zweiter Schwerpunkt wird auf die Bedeutung des Weines für Dionysos und seinen Kult gelegt. Entscheidend ist, dass Shorrock im Ergebnis nicht zu dem Schluss kommt, Nonnos habe sich etwa bemüht, dem klassischen Gott christliche Züge zu verleihen. „In the world of late antiquity the narrative of Dionysus and the Classical tradition and the narrative of Christ and the Christian tradition are inextricably entwined: it is not possible to consider one without regard to the other" (115). Diese Lesart steht im deutlichen Widerspruch zur etablierten communis opinio, in der die Dionysiaca das Zeugnis eines positiven Heidentums ist, so wie die Paraphrase des Johannes-Evangeliums das Christentum positiv bezeugen. Shorrock wendet sich diesen Konsequenzen seiner Deutung im zusammenfassenden 5.Kapitel zu. Shorrock schlägt darin vor, das Studium der intertextuellen Bezüge zwischen Dionysiaca und Paraphrase nicht auf die einfache Gegenüberstellung zwischen christlich und pagan zu beschränken, sondern beide Texte vor dem Hintergrund weiterer literarischer Formen zu betrachten. In Frage kommt in diesem Zusammenhang vor allem die Cento-Technik. Hierbei werden kurze Versteile eines bestehenden Textes aufgegriffen und zu einem neuen Text, mit völlig neuem Sinngefüge zusammengesetzt. Beispielgebend ist für Shorrock auch an dieser Stelle Ausonius, der mit seinem 'Cento Nuptialis' eines der bekanntesten überlieferten, klassisch-paganen Zeugnisse dieser Gattung geschaffen hat. Diese Forschung jedoch steht, wie Shorrock auch selbst betont, noch ganz am Anfang und ob diese wirklich überzeugende Ergebnisse liefern kann, wird sich erst noch zeigen müssen. Shorrock hat ein gut lesbares Buch vorgelegt, in dem er einen klaren Gedankengang entwickelt und überzeugend für seinen Ansatz wirbt. Das einzige Manko ist die starke Konzentration auf Ausonius. Eine Einbeziehung weiterer antiker Autoren und ihrer spezifischen literaturtheoretischen Ansätze (wie z.B. vorgelegt von Thomas Gärtner1) hätte dem Werk an dieser Stelle sicherlich gut getan. Dies schmälert jedoch nicht den Gewinn den man aus der Lektüre ziehen kann, zumal es fraglich ist, ob sich am Gesamteindruck wirklich so viel verändert hätte.
Notes:
1. Gärtner, Thomas: Die Musen im Dienste Christi. Vigiliae Christianae 58 (2004) pp.424-446
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