Elisabeth Herrmann-Otto, Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen Welt. Studienbücher Antike Band 15. Hildesheim, Zürich/New York: Georg Olms Verlag, 2009. Pp. 263. ISBN 9783487142517. €19.80 (pb).
Reviewed by Oliver Schipp, Mainz
Eine kompakte deutschsprachige Einführung zur antiken Sklaverei wird seit langem dringend benötigt, gilt die Sklaverei doch sowohl in der universitären Forschung und Lehre als auch in den Schullehrplänen der deutschen Bundesländer als ein vordringlich zu behandelndes Thema. Die Autorin Elisabeth Herrmann-Otto, Professorin für Alte Geschichte an der Universität Trier, ist als langjährige Mitarbeiterin des Mainzer Akademieprojekts Forschungen zur antiken Sklaverei und ehemalige Sprecherin des Trierer DFG-Graduiertenkollegs 846 "Sklaverei—Knechtschaft und Frondienst—Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen von der Antike bis zum 20. Jahrhundert" eine ausgewiesene Kennerin der Materie. Das Werk ist in fünf Kapitel gegliedert. Dabei wird die im Titel genannte griechische und römische Welt nicht gleich gewichtet, denn die Darstellung der römischen Sklaverei hat ein deutliches Übergewicht, was dem Forschungsschwerpunkt der Autorin geschuldet ist. Wer also etwas zur griechischen Sklaverei erfahren möchte, wird sich mit einer knappen Darstellung auf ca. 50 Seiten begnügen müssen. Die römische Sklaverei wird zwar ausführlicher dargestellt, da aber auch die Freilassungspraxis ausführlich diskutiert wird, bleiben viele Aspekte der römischen Sklaverei außen vor. Im ersten Kapitel (S. 9-50) werden zunächst Problemstellung, Definition und Terminologie dargelegt. Das Problem für den heutigen Betrachter besteht im Anschluss an Keith Bradley darin, dass die Sklaverei in der Antike gesellschaftlich verankert war und damit auch für die antiken Autoren kein Problem darstellte, weswegen nur wenige Aussagen zur Sklaverei aus der Zeit selbst stammen.1 Die Definition kreist um die Frage, ob die antiken Gesellschaften als Sklaven(halter)gesellschaften oder als Gesellschaften mit Sklaven anzusehen sind. Die Terminologie der Sklaverei schließlich wird in ihrer Vielgestaltigkeit knapp vorgestellt. In den weiteren Abschnitten der Einleitung wird der Versuch unternommen, "das antike Verständnis von Sklaverei im theoretischen Denken" deutlich zu machen, um die praktische "Verortung der Sklaverei in Gesellschaft, Wirtschaft und Gemeinwesen der griechisch-römischen Welt" herauszustellen (S. 16); ein Unterfangen, das in dieser Breite freilich nicht gelingen kann, da wir auf nur wenige Quellenaussagen zurückgreifen können, wie zuvor schon von der Autorin selbst festgestellt wurde. Abgeschlossen wird die Einleitung mit einem Abschnitt zur Forschungsdiskussion der in "Die antike Sklaverei als Gegenstand der Wissenschaft" und in "Die antike Sklaverei als Bestandteil des politischen Diskurses" untergliedert ist (S. 34-50), von denen allerdings nur der erste Gliederungspunkt durchgehalten wird. Der politische Diskurs wird auf Betrachtungen zu den Theorien der Naturrechtler des 17. Jh.s sowie der Sozialisten und Kommunisten des 19. Jh.s beschränkt; dabei ist aber das, was als politischer Diskurs bezeichnet wird, eher eine wissenschaftstheoretische und philosophische Debatte. Die folgenden beiden Kapitel sind chronologisch-sachlich gegliedert. Den Anfang macht im zweiten Kapitel eine Darstellung der Sklaverei in der griechischen und hellenistischen Welt (S. 51-110). Da die zahlreichen Irrtümer und handwerklichen Mängel in diesem Kapitel schon an anderer Stelle aufgezählt werden,2 wird hier auf eine Mängelliste verzichtet; es muss darüber hinaus aber darauf hingewiesen werden, dass am Ende des ersten Abschnittes, welcher der griechischen Frühzeit gewidmet ist, die Feststellung steht, dass es weder in homerischer Zeit noch zur Zeit der klassischen Polis vergleichbar große Sklavenzahlen gegeben habe wie in Pylos, Knossos und Mykene (S. 60). Hierbei werden die Angaben der bronzezeitlichen Verwaltungstäfelchen mit den Angaben in den homerischen Epen und den literarischen Quellen des 5./4. Jh.s verglichen. Dies hält der Rezensent für zumindest fragwürdig und ohne Verweis auf eine weiterführende Untersuchung und der Nennung von Nachweisen für eine unzulässige Schlußfolgerung. In den folgenden Abschnitten zu den Sonderformen der Unfreiheit und dem Verhältnis von Sklaverei und Demokratie fällt vor allem der allzu unkritische Umgang der Autorin mit den literarischen Quellen auf. Die Aussagen des Zeitgenossen Platon zur Helotie können zum Beispiel nicht mit den Aussagen Plutarchs auf einer Interpretationsebene stehen (S. 62). Viel zu kurz geraten ist der abschließende Überblick über die hellenistische Sklaverei (S. 102-110); hier hätte man gerne mehr erfahren. Die beste Passage des Buches ist das dritte Kapitel, das zugleich auch das umfangreichste ist (S. 111-202). Beginnend mit einem Abschnitt zum Ursprung und zur Verbreitung der Sklaverei im republikanischen Rom, werden in einem chronologischen Abschnitt die Sklavenaufstände und die Krise der römischen Republik behandelt (S. 111-144). Sehr überzeugend ist die Konzeption der weiteren Unterkapitel, bei der die Gliederung der römischen Auffassung von verschiedenen familiae entspricht. So wird untergliedert in Sklaven in der italischen Landwirtschaft (familia rusticana), Sklaven im städtischen Privathaushalt (familia urbana), Sklaven und Freigelassene in öffentlichen Funktionen (familia publica bzw. Caesaris). Diese Einteilung ist hier der sonst häufigen Gliederung in primären, sekundären und tertiären Wirtschaftssektor vorzuziehen, da soziale und soziologische Betrachtungen und nicht ökonomische Aspekte im Vordergrund stehen. Wie schon den Überschriften zu entnehmen ist, werden aber nur kleine gut dokumentierte Ausschnitte aus der römischen Welt dargelegt (Landwirtschaft in Italien; Sklaven in städtischen Privathaushalten). Wie aber verhält es sich mit der Sklaverei in den römischen Provinzen? Besonders die zahlreichen Dokumente zur Provinz Africa hätten herangezogen werden können, um die Sklaverei in der Landwirtschaft auf den großen Latifundien zu erhellen. Außerdem hätte der gut aufgearbeitete Befund der inschriftlichen Zeugnisse stärker berücksichtigt werden müssen,3 um die rechtliche und soziale Stellung der privaten und öffentlichen Sklaven im ganzen Imperium Romanum deutlicher ausdifferenzieren zu können. Die Bergwerkssklaverei wird etwa ganz ausgeblendet und dies trotz einer hervorragenden Quellenlage: außer den archäologischen Befunden wäre vor allem die Bergwerksordnung von Vipasca auszuwerten gewesen. Das Kapitel wird abgeschlossen mit Erörterungen zur römischen Freilassung und der mit ihr verbundenen Chance zum sozialen Aufstieg, die eigentlich in das nächste Kapitel Wege in die Freiheit gehören. Indem Herrmann-Otto im dritten Kapitel versucht, die römische Sklaverei auf ausgewählte Aspekte zu verdichten, werden wichtige entwicklungsgeschichtliche Details vernachlässigt, die aber mit Hinblick auf die Adressaten zum Verständnis dringen erforderlich sind; so fehlt eine juristische Definition des Pekuliums und somit die Klärung einer Besonderheit der antiken Sklaverei. Außerdem rächt es sich, dass der römischen Kaiserzeit kein eigenes Unterkapitel gewidmet wurde. Dadurch wird diese für die juristische Ausgestaltung der Sklaverei so wichtige Epoche in den sachlich orientierten Unterkapiteln aufgelöst. Die Darstellung der Sklaverei in der Hohen Kaiserzeit bleibt deshalb seltsam konturlos. Das Gleiche gilt für die Sklaverei in der Spätantike, die ebenfalls nicht chronologisch dargestellt wird. Im vierten Kapitel befasst sich die Autorin nämlich vorwiegend mit der Freilassungspraxis. Nach einem längeren Exkurs zur christlichen und jüdischen Freilassung (S. 203-215), wird das Rechtsinstitut der Freiheitsbegünstigung (favor libertatis) dargelegt. Dabei haben sich bedauerlicherweise einige interpretatorische und terminologische Irrtümer eingeschlichen. So ist die religiöse Gesinnung der jüngeren Melania entgegen der Ansicht von Herrmann-Otto nicht umstritten (S. 214), sondern nur der Entschluss, ihre zahlreichen Sklaven auf einmal freizulassen. Die Folgen für die Freigelassenen, die Verwandten der Melania und die zuständige Provinzverwaltung waren nämlich unabsehbar.4 Unzutreffend ist ferner die Aussage, Melania habe eine größere Anzahl von Sklaven wegen einer Sklavenrevolte für je 3 Solidi an einen Familienangehörigen verkauft. In der von der Autorin leider nicht zitierten Quelle (Pallad. hist. Lausia. 61,5) heißt es vielmehr, dass eine unbestimmte Anzahl von Sklaven es vorzog, nicht freigelassen zu werden, sondern lieber unter der Obhut des Bruders der Melania weiterhin als Sklaven dienen wollte; diesem überließ sie die Sklaven und gab jedem 3 Solidi—oder verkaufte sie für je 3 Solidi (der Text ist hier nicht eindeutig). Auch die Terminologie ist insofern nicht auf dem Stand der Forschung, als der Begriff germanische Nachfolgestaaten schon seit Beginn des 20. Jh.s von der Forschung wegen der Fragwürdigkeit des Staatsbegriffs in Bezug auf diese Königreiche verworfen worden ist. Auch der Germanenbegriff ist von der Forschung in Anwendung auf Goten, Franken und Burgunder als sachlich falsch herausgestellt worden.5 Die Aufzählung Burgunder, Ripuarier und Franken ist in diesem Zusammenhang (S. 214) unsinnig, weil die Ripuarier (besser: Ribuarier) zu den Franken zählten und keinen "Nachfolgestaat" gegründet hatten. Die Liste der Irrtümer ließe sich noch fortführen. Da es sich hierbei um für Laien und Studierende schwer nachprüfbare Sachverhalte handelt, ist die sachliche Überarbeitung des vierten Kapitels für weitere Auflagen des Buches dringend angeraten. Im abschließenden fünften Kapitel wartet die Autorin mit dem Verdikt auf (S. 226-230): "Hüten wir uns, von heute aus die Antike moralisch bewerten zu wollen. Sie ist ganz anders" (S. 230). Meines Erachtens muss ein Historiker nach einem Sachurteil auch ein begründetes Werturteil abgeben dürfen, selbst wenn dieses bei einem emotionalen Thema wie der Sklaverei moralische Grundzüge trägt. Sonst erschöpft sich die Arbeit des Historikers in der Aufzählung und Sachanalyse von vermeintlichen Fakten, und er verharrt in der Position des neutralen Chronisten. Das Buch ist in einem gut lesbaren Stil geschrieben, welcher dem avisierten Adressatenkreis angemessen ist. Unschöne Einstreuungen von fremdsprachigen Zitaten sind nur selten, etwa: "…, dass jeder Angehörige der Oberschicht potentiell in einer downward mobility in totale Armut und Sklaverei absinken konnte", und fallen nicht ins Gewicht (S. 217). Die bibliographischen Fehler sind schon in der Rezension von Josef Fischer aufgezählt worden und müssen hier nicht wiederholt werden; ebenso die orthographischen Irrtümer.6 Kritisiert werden müssen allerdings die Verweise auf Internetseiten, die in wissenschaftlichen Arbeiten nichts zu suchen haben, da Internetseiten ständig geändert werden oder sogar ganz verschwinden können, wie z. B. die zitierte Internetseite des Trierer Graduiertenkollegs "Sklaverei—Knechtschaft und Frondienst—Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen von der Antike bis zum 20. Jahrhundert" (S. 47), die bereits bei Erscheinen des Buches für immer aus dem Internet genommen worden war. Stattdessen darf man darauf vertrauen, dass der heutige Leser in der Lage ist, die Internetseiten von wichtigen Institutionen eigenständig zu finden. Ein großes Manko ist die schon erwähnte mangelhafte Textinterpretation, die sich durch das ganze Buch zieht, wie ein weiteres Beispiel verdeutlicht: Eine Textstelle (Petron. 53), in welcher Petron die Geburt von 70 Sklavenbabys auf einem Landgut erwähnt, wird als Beleg für die ohnehin bekannte Tatsache, dass Sklavenbabys eine Wertsteigerung darstellten, herangezogen (S. 168). Über den monetären Wert von Sklavenkindern sagt die Stelle aber gar nichts aus, sondern es werden lediglich die neuesten Nachrichten von den Gütern des Trimalchio, einer literarischen Kunstfigur, vorgelesen. Bedenkt man außerdem, dass dieses Buch vor allem an Studierende gerichtet ist, so wären einige erklärende Worte zum Aussagewert und zur Glaubwürdigkeit der einzelnen Autoren in den Fußnoten angebracht gewesen. Die sinnvoll ausgewählten Quellenzitate werden lesergerecht in deutscher Übersetzung wiedergegeben, wobei leider weder die Übersetzer an den Zitatstellen genannt, noch die Übersetzungen im Literaturverzeichnis angeführt werden. Dies ist aber gute wissenschaftliche Praxis und unerlässlich, da man sich sonst—streng genommen—des Plagiats schuldig macht. Nur bei den Zitaten aus der Ilias wird ein Übersetzer genannt (S. 55). Die abgedruckten Homerstellen sind allerdings nicht der Übersetzung von Hans Rupé entnommen, wie angegeben, sondern stammen, wenn auch nicht fehlerfrei abgeschrieben, aus der Übersetzung von Johann Heinrich Voß. Fazit: Dem Fachmann bietet das Buch nichts Neues. Da ein Quellenregister fehlt, wird die Handhabung zudem erschwert. Der interessierte Laie wird wegen des erforderlichen Vorwissens schnell überfordert sein und die Lust an der Lektüre verlieren. Und den Studentinnen und Studenten kann das Buch wegen der genannten Mängel in der vorliegenden Form nicht empfohlen werden.
Notes:
1. K. Bradley, The Problem of Slavery in Classical Culture, in: Classical Philology 92 (1997), S. 273-282.
2. Vgl. demnächst die Rezension von J. Fischer, in: Gymnasium (2010).
3. Bspw. A. Weiß, Sklave der Stadt. Untersuchungen zur öffentlichen Sklaverei in den Städten des römischen Reiches, Stuttgart 2004.
4. Hierzu grundlegend: C. Lepelley, Mélania la Jeune, entre Rome, la Sicile et l'Afrique: Les effets socialement pernicieux d'une forme extrême de l'ascétisme, in: Kókalos 43-44 (1997-1998), S. 15-32.
5. Vgl. W. Pohl, Vom Nutzen des Germanenbegriffes zwischen Antike und Mittelalter: eine forschungsgeschichtliche Perspektive, in: Hägermann, D./Haubrichs, W./Jarnut, J. [Hrsgg.]: Akkulturation. Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, Berlin 2004, S. 18-34.
6. Vgl. demnächst die Rezension von J. Fischer, in: Gymnasium (2010).
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