Magnus Schallenberg, Freiheit und Determinismus: ein philosophischer Kommentar zu Ciceros Schrift De fato. Quellen und Studien zur Philosophie, Bd. 75. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2008. Pp. xiii, 369. ISBN 9783110189407. $141.00.
Reviewed by Michael Hesse, Witten
Der vorliegende Band stellt die überarbeitete Fassung der im Juli 2004 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zur Promotion angenommenen Dissertation des Verfassers dar.1
Nach einer Klärung der Problemstellung und der Bedeutung des Wortes fatum skizziert Schallenberg die Positionen der an der hellenistischen Fatumsdiskussion beteiligten Schulen. Sodann macht Schallenberg substantielle Vorbemerkungen zur historischen Einordnung, dem Gesprächspartner Hirtius,2 der Datierung des Werks, zur Überlieferung,3 den Fragmenten sowie den Quellen und macht auf dieser Basis einen Gliederungsvorschlag. Schallenberg möchte deutlich machen, dass sich die Fatumsdiskussion auf Physik, Ethik und Logik gleichermassen bezieht, versucht daher in seinem Gliederungsvorschlag die Zuordnung zu den drei Teilgebieten zu erreichen und postuliert, dass die Physik im fehlenden Teil der Einleitung erwähnt worden sei.
Im Hauptteil wird der Text von De fato in Form eines fortlaufenden Kommentars sukzessive besprochen. Wenn Schallenberg zu textkritischen Problemen Stellung nimmt, sind seine Ausführungen immer sachgerecht und zielführend. Hervorzuheben ist seine -- in der heutigen Zeit leider nicht mehr selbstverständliche -- Fähigkeit, vom lateinischen Originaltext aus zu argumentieren. Es gelingt Schallenberg jederzeit, Ciceros z.T. nicht unkomplizierte Argumentation in Auseinandersetzung mit der Forschungverständlich nachzuzeichnen.4
Schallenberg zeigt schlüssig, dass die Herausarbeitung und Etablierung der schwachen Wahrheitsauffassung ein zentrales Anliegen Ciceros in der Auseinandersetzung mit dem Determinismus war. Für Cicero ist daher eine wahre zukunftsbezogene Aussage nicht wahr, weil Ursachen in der Gegenwart notwendigerweise das Eintreten bedingen, sondern trivialer Weise, weil das in der Aussage beschriebene Ereignis im sich tatsächlich realisierenden Weltverlauf eintreten wird. Damit kann Cicero das Bivalenzprinzip akzeptieren, ohne Fatumsnotwendigkeit anzunehmen. War für die Stoiker vor dem Hintergrund der starken Wahrheitsauffassung eine temporalisierte Modaltheorie notwendig und dennoch nur der Gedanke des unerzwungenen Handelns, nicht aber die tatsächliche Wahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten erreichbar, so ist für Cicero in Verfolgung der neuakademischen Strategie "echte" Willensfreiheit zu erreichen, da die Ursache für einen Willensakt in der selbstverursachenden Natur des Willens gesehen wird. Dieses Wirken des Willens, das Schallenberg als "Agenskausalität" versteht, wird als von der Naturkausalität in der physisch-empirischen Welt unbeeinflusst gedacht. Die sich dann aber ergebende Problematik, wie umgekehrt eine Einflussnahme des Willens in der physisch-empirischen Welt möglich sein soll, zu lösen , konnte Cicero allerdings nicht gelingen.
Wertvoll ist auch die abschliessende Zusammenfassung, die die Ergebnisse der Arbeit nochmals problematisiert und evaluiert. Für Cicero war keine überzeugende Lösung des Problems der menschlichen Freiheit erreichbar, sondern eine Behandlung der Frage, wie der Freiheitsgedanke innerhalb der philosophischen Systeme der verschiedenen Schulen seinen Platz finden konnte. Diese Darstellung ist Cicero auf der Basis seiner persönlichen Überzeugung gelungen, und zur vertieften Auseinandersetzung mit dieser höchst aktuellen5 Problematik legt Schallenbergs Buch die Basis, das zukünftig für jeden, der Zugang zu De fato sucht, die erste Wahl sein wird.
Den auch in Detailbeobachtungen6 trefflichen Band beschliessen ein umfassendes Literaturverzeichnis (der Editionen, der Fragmentsammlungen und der Sekundärliteratur) und mehrere gründliche Indizes (Locorum, Fragmentorum, Nominum und Rerum).
Notes:
1. Teilw. zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2004 u.d.T.: Schallenberg, Magnus: Ciceros Auseinandersetzung mit dem Fatalismus in seiner Schrift De fato.
2. Mit guten Gründen sieht Schallenberg in der Wahl des "unphilosophischen" Hirtius als Gesprächspartner (um ihn so für die republikanischen Restaurationsbestrebungen zu gewinnen) den Grund für Cicero, von der ursprünglich wie in de nat. deor. und de div. geplanten Darstellungsweise als Dialog in zwei Büchern mit Untersuchung beider Standpunkte (in utramque partem disserere) abzugehen und sich für die Darstellung mit Aufstellung einer These (Hirtius), die Cicero dann in einem zusammenhängendem Vortrag widerlegen kann (contra propositum disputare), in einem Buch zu entscheiden. Nicht unplausibel ist auch die Vermutung, Cicero habe mit der Wahl der literarischen Form die Darlegung der stoischen These von stoischer Seite aus verhindern wollen, um so eine stärkere Ablehnung des Fatumsbegriffs und eine grössere Betonung der antifatalistischen Sache zu erreichen.
3. Die Überlegungen, ob in Lacuna A oder B Ciceros Definition des Fatums in philosophischer Hinsicht zu finden war, ob Hirtius überhaupt eine komplexe These zuzutrauen war und ob diese ggf. zeitbedingt gefärbt war, bleiben letztlich im Bereich der Spekulation. Von Schallenberg diskutierte mögliche Rückbezüge aus dem erhaltenen Text auf die lacunae erscheinen jedoch durchaus plausibel.
4. Durch seine breite und profunde Kenntnis der Sekundärliteratur liefert Schallenberg einen jederzeit zuverlässigen Überblick über die Forschung, diskutiert und wertet die unterschiedlichen Forschungspositionen und macht dabei auch entlegenere Werke wieder zugänglich. Sehr komplizierte Gedankengänge veranschaulicht Schallenberg durch Tabellen.
5. gerade auch im Licht der neueren Forschungsergebnisse der Hirnforschung oder der Physik im Bereich Quantentheorie.
6. Sehr lesenswert sind auch exkursartige Passagen, wie z.B. die Diskussion der Forschungslinien zu Epikurs Theorie der Bahnabweichung.
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