Ilinca Tanaseanu-Döbler, Konversion zur Philosophie in der Spätantike. Kaiser Julian und Synesios von Kyrene. Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge Bd. 23. Stuttgart: Steiner, 2005. Pp. 309. ISBN 9783515090926. €58.00 (pb).
Reviewed by Michael Kleu, RWTH Aachen, Germany
Bei dem Werk Konversion zur Philosophie in der Spätantike. Kaiser Julian und Synesios von Kyrene handelt es sich um die leicht überarbeitete Version der Dissertation der Religionswissenschaftlerin Ilinca Tanaseanu-Döbler (von nun an T.-D.). Da die Autorin in der Forschung eine Untersuchung über das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie für das Altertum vermisst, wirft sie mit ihrem gelungenen Buch die Frage auf, inwiefern das Diskursuniversum der spätantiken Philosophie über normative Texte hinaus für die Religiosität und die Biographie konkreter Personen von Bedeutung sein kann. Diesbezüglich biete die Konversion einen interessanten Ansatzpunkt, da man mit ihrer Hilfe die Identitätsentwicklung einzelner Menschen rekonstruieren und dadurch Erkenntnisse über das Verhältnis zwischen Philosophie und religiösen Traditionen in der Spätantike gewinnen könne. Als konkrete Beispiele wählt sie für ihre Untersuchung der Konversion zum Neoplatonismus als Möglichkeit religiöser Bekehrung im 4. Jahrhundert mit dem römischen Kaiser Julian Apostata und dem Philosophen Synesios von Kyrene zwei herausragende Persönlichkeiten aus, deren schriftliche Selbstzeugnisse ergiebiges Quellenmaterial bieten. Im Folgenden sollen die zentralen Gedanken und Thesen der Arbeit wiedergegeben werden.
Zunächst stellt T.-D. in der Einleitung (S.11-25) die Forschungsansätze über die Konversion zur Philosophie vor und führt den Leser in die Problematik der Komplexität der antiken Philosophie ein. Das folgende Kapitel (S.27-56) stellt als Grundlage für die späteren Untersuchungen zunächst das durchaus facettenreiche Verhältnis zwischen Philosophie und Ritual im Neoplatonismus vor, wobei ein Schwerpunkt auf die Theurgie gelegt wird.
Im dritten Kapitel (S.57-154) wird nun eine mögliche Konversion Julians zur Philosophie untersucht. Zunächst gibt T.-D. eine kurze Biographie des Kaisers wieder, bevor sie den Forschungsstand zur Konversion Julians vorstellt. Diesbezüglich stellt sie fest, dass sich alle Darstellungen auf religiöse und rituelle Aspekte des Neoplatonismus konzentrieren, die ethische Dimension und Julians Identitätsentwicklung jedoch eher ausblenden. Bezüglich seiner Konversion stellen Julians Briefe und Schriften die primären Quellen dar, wobei die Autorin jedoch daran erinnert, dass der Kaiser erst ungefähr zehn Jahre nach seiner Bekehrung auf die zu behandelnde Thematik zu sprechen kommt und womöglich einiges anders darzustellen versucht, als es tatsächlich geschehen sein mag. Als sekundäre Quellen nutzt sie den Sophisten Libanios sowie die verlorene Biographie des Iatrosophisten Oreibasios, auf die Eunapius von Sardes in seinen Vitae sophistarum in Bezug auf Julians Studium der Philosophie zurückgreift. Wichtig ist der Autorin bei der Quellenwahl besonders die persönliche Nähe des jeweiligen Verfassers zum Kaiser. Daher nutzt sie Ammianus Marcellinus und Gregor von Nazianz nur ergänzend und misst den weiteren Quellen bezüglich der zu behandelnden Fragestellung eine zu vernachlässigende Bedeutung zu.
Anhand des vorgestellten Materials will T.-D. untersuchen, ob der Neoplatonismus Konsequenzen für Julians Welt- und Gottesbild gehabt hat und welche Rolle Theurgie und Philosophie für seine Lebens- und Regierungsführung spielten. Hierzu analysiert sie zunächst Julians geistigen Hintergrund vor dem Philosphiestudium und kommt zu der Ansicht, dass Julian aufgrund seiner Erziehung kein blosser Namenschrist gewesen wäre, sondern sich selbst als Christ betrachtet habe. Als zentrale Quelle stuft sie ep. 111,434d ein. Hier gibt Julian an, er sei 20 Jahre lang Christ gewesen und nun seit elf Jahren Heide. Da der Brief aus dem Jahre 362 stammt, scheint Julian den Beginn seines Philosophiestudiums in Kleinasien im Jahr 351 als den entscheidenden Moment der Hinwendung zum Heidentum empfunden zu haben. Eine Untersuchung der Quellen deutet darauf hin, dass Julians Begegnung mit der Philosophie durchaus eine religiöse Komponente beinhaltete und "der philosophische Unterricht des Maximus ... für Julian neben der Aufnahme einer neuen Lebensweise auch eine religiöse Umorientierung" (S.106) implizierte. Auch wenn die genauen Umstände der Konversion nicht zu rekonstruieren seien, steht für die Verfasserin fest, dass Julian ein Christ gewesen ist, der durch seinen Kontakt mit der griechischen Kultur und besonders durch den Neoplatonismus vom Christentum weg in Richtung Heidentum driftete. Im Rahmen dieser Feststellung wirft T.-D. die Frage auf, ob die Philosophie lediglich einen Schritt in Richtung Heidentum bedeutete oder ob sie die Basis einer neuen Identität Julians bildete. Lag lediglich eine Konversion zum Heidentum oder auch eine Konversion zur Philosophie vor? In den Schriften, die Julian verfasste, während er als Caesar in Gallien war, findet die Autorin mehrere Belege dafür, dass sich Julian auch als Caesar noch der philosophischen Gemeinschaft seiner Lehrer und Kommilitonen zurechnete. Als Augustus ging er einer asketischen Lebensweise nach, liess sich mit langen Haaren und Bart darstellen, verfasste weiterhin philosophische Schriften und bezog Philosophen aktiv als Berater in seine Regierungsgeschäfte ein. Daraus schlussfolgert T.-D., dass die Philosophie sowohl für das Leben Julians wie auch für seine Regierung von grösster Bedeutung war. Dies sieht sie darin bestätigt, dass Julian dem Philosophen Plato in seinem theologischen Verständnis die Bedeutung zumisst, die Moses in der jüdischen Religion zukommt. Im Hinblick auf die von Ammian und Libanios stammenden Darstellungen der Todesszene Julians wirft die Autorin die nicht zu beantwortende Frage auf, inwiefern es zutreffen mag, dass sich der Kaiser auf dem Sterbebett wie Sokrates kurz vor seinem Tod verhalten habe.
In einem Zwischenfazit hält T.-D. fest, dass Julian sich bis zu seinem Tode nicht nur selbst als Philosophen betrachtete, sondern auch einem philosophischen Netzwerk angehört hatte, aus dem er sich bediente, um diverse Positionen zu besetzen. Insofern sieht sie bestätigt, dass Julian bei seinen Studien in Pergamon eine Konversion zur neoplatonischen Philosophie durchlebte, die zeitlebens von zentraler Bedeutung für ihn blieb und ihm auch den Weg zum Heidentum wies.
Das vierte Kapitel (S.155-286) widmet sich nun Synesios von Kyrene, dessen Biographie zunächst kurz wiedergegeben wird, bevor T.-D. den Forschungsstand zur Konversion des Synesios behandelt. Dieser erfreute sich in der Forschung aufgrund von ep. 105 eines grossen Interesses. In dem betreffenden Brief reagiert der dem Kaiserhof in Byzanz nahestehende Philosoph auf seine Wahl zum Bischof von Ptolemais und verkündet seine Bedenken hinsichtlich der Annahme des Amtes, da er in vielerlei Hinsicht eher auf die neoplatonische Philosophie als auf das Christentum vertraue, wenn es um die Wahrheitsfindung gehe. Einigkeit herrscht in der Forschung darüber, dass die Studienjahre bei Hypatia in Alexandrien von enormer Bedeutung für die geistige Entwicklung des Synesios waren. T.-D. will nun erörtern, wie das Verhältnis zwischen Neoplatonismus und Christentum in Hinblick auf sein Selbstverständnis und seine Religiosität einzustufen ist. Anders als bei Julian ist man bei Synesios allein auf dessen eigene Schriften angewiesen, da er bei seinen Zeitgenossen keine Erwähnung findet. Den Quellenwert der späteren Überlieferungen betrachtet die Autorin für die Untersuchung als äusserst dürftig. Da der Erkenntnisgewinn davon abhängig sei, auf welche Quellen man sich beziehe, erläutert T.-D. nun, welchen Schriften des Synesios sie für die vorliegende Fragestellung welche Bedeutung beimisst. Zunächst unterscheidet sie zwischen Prosaschriften und Briefen auf der einen und den Hymnen auf der anderen Seite. Denn lediglich die siebte Hymne ist genau datierbar, sodass die anderen keine Rückschlüsse auf die Identitätsentwicklung des Synesios zuliessen. Hinzu kommt, dass es sich bei den Hymnen um poetische Werke handle, die unterschiedliche Interpretationen ermöglichen. Die Briefe und Prosaschriften des Synesios erscheinen der Autorin daher wesentlich vertrauenswürdiger. Die Prosaschriften können bis auf das Lob der Kahlheit relativ genau datiert werden und werden von der Autorin in politische und in philosophische Schriften unterteilt. So stehen für ihre Untersuchungen neben den Briefen der Dion und das Traumbuch im Vordergrund, während De regno und De providentia lediglich in speziellen Fällen zu Rate gezogen werden und die Hymnen als Ergänzung dienen.
Anders als bei Julian Apostata ist es bei Synesios von Kyrene sehr schwierig zu sagen, welchem Milieu er ursprünglich entstammte und welche religiöse Prägung selbiges aufwies. Nach einer Untersuchung verschiedener Quellen zieht T.-D. den Schluss, dass Synesios aller Wahrscheinlichkeit nach einem christlichen Umfeld entsprang, welches jedoch nicht sonderlich dogmatisch ausgeprägt und für das die hellenische Kultur noch von grosser Bedeutung gewesen sei (S.180). Die entscheidende Wende bedeutete für Synesios das Studium bei Hypatia von Alexandrien, die einen Neoplatonismus vertrat, bei dem die exakten Naturwissenschaften eine grosse Rolle gespielt haben und die sich nach Ansicht von T.-D. im Hinblick auf religiöse Fragen indifferent verhielt. Synesios' Briefe an seinen Studienfreund Herkulianos vermitteln den Eindruck eines typischen neoplatonischen Kreises um Hypatia, dessen Zusammenhalt auf den persönlichen Bindungen untereinander beruht. Auffällig sei hingegen das vollständige Fehlen christlicher Elemente in Synesios' Schriften aus der Zeit unmittelbar nach seinem Studium. Für diesen Zeitraum geht T.-D. von einer Konversion des Synesios zum Neoplatonismus aus.
Die folgenden Untersuchungen analysieren, ob diese Konversion nur einer anfänglichen jugendlichen Begeisterung entsprang, oder ob die Philosophie auch in den späteren Werken von entscheidender Bedeutung für Synesios blieb. Dies bejaht T.-D. in der Folge unter Bezug auf den Dion und ep. 154, bevor sie sehr ausführlich Synesios' Weltbild wiedergibt (S.229-252). Hieraus gehe hervor, dass Synesios die Überlieferung der Evangelien als Mythos betrachtet, den er jedoch nicht ablehne, sondern vielmehr in sein neoplatonisches Weltbild integriere. Bezüglich der Theurgie relativiert T.-D. die Forschungsmeinung, dass Synesios die jamblicheische Theurgie grundsätzlich ablehne. Die Ablehnung beziehe sich lediglich auf einzelne mantische Riten. Auch kann sie Schmitts1 These nicht zustimmen, die von einer Konversion des Synesios von der Politik zur Philosophie im reiferen Alter ausgeht. Laut ihrer Sicht habe sich Synesios zwar von der Reichspolitik abgewandt, dafür aber verstärkt der Provinzialpolitik gewidmet, sodass diesbezüglich von keiner Konversion, sondern vielmehr von einer Verlagerung der Interessen die Rede sein müsse. Prinzipiell stimmt sie der Forschungsmeinung zu, Synesios habe als Ideal der gesellschaftlich und politisch engagierte Philosoph vorschwebt, wobei der Philosoph sich jedoch nur politisch betätigen soll, wenn es die Umstände erforderlich machen. Daher geht sie von einem "Weg der aurea mediocritas" (S.273) aus und betrachtet in Bezug auf Synesios "theoria und praxis als zwei Aspekte der Philosophie" (S.274). Dazu passe auch die Annahme des Bischofsamtes. Allerdings belege ep. 105, dass keine Konversion von der Philosophie zum Christentum vorgelegen habe. Synesios habe sich vermutlich immer als Christ betrachtet, nur sei das Christentum für ihn spätestens durch sein Studium sekundär geworden. Auch als Bischof sei seine Identität als Philosoph bestehen geblieben und er habe sich weiterhin als Mitglied des Kreises um Hypatia verstanden.
In einem weiteren Zwischenfazit stellt T.-D. fest, dass die Konversion zur neoplatonischen Philosophie für Synesios anders als im Falle Julians nicht mit einer Hinwendung zum Heidentum verbunden war. Die Bedeutung des Christentums für Synesios sei zwar gesunken, doch habe er es immer noch in sein neoplatonisches Weltbild integrieren können.
In der Schlussbetrachtung (S.287-294) hält T.-D. fest, dass der Neoplatonismus jeweils eine bleibende Konstante in den Leben der beiden untersuchten Personen darstellte und die Konversion zu ihm in beiden Fällen zu einem Bruch mit der Vergangenheit geführt habe, der sich in Synesios' Fall allerdings nicht zwingend nach aussen hin bemerkbar gemacht habe. Sowohl Julian als auch Synesios hätten während ihrer Jugend zur Philosophie gefunden, als Abschluss ihres konventionellen Bildungsweges. Beide seien stark von herausragenden charismatischen Lehrerpersönlichkeiten geprägt worden und seien ihrer jeweiligen Schulgemeinschaft zeitlebens treu geblieben. Durch ihre Untersuchung der Konversion zum Neoplatonismus als Möglichkeit religiöser Bekehrung im 4. Jahrhundert sieht die Autorin ein tieferes Verständnis der untersuchten Persönlichkeiten gewonnen. Beide hätten einen hohen Grad an religiöser Individualität und Flexibilität aufgewiesen. "Dies zeigt wiederum, dass individuelle religiöse Konstrukte, die mit den verschiedenen Angeboten religiöser Traditionen souverän operieren, keine Erfindung der Neuzeit, sondern eine Konstante der Religionsgeschichte sind" (S.292). Die Untersuchung endet mit einem 15-seitigen Literaturverzeichnis.
Das Buch ist wohl abgewogen, in einem sehr angenehmen Sprachstil verfasst und zieht die gesamte relevante Fachliteratur zu Rate. Hervorzuheben ist, dass es sich durch eine sehr quellennahe Untersuchung auszeichnet. Ist die Datierung einer Schrift nicht sicher, zieht T.-D. sie nur ergänzend hinzu, um die Gefahr einer Verfälschung der Ergebnisse zu minimieren. Schliesslich ist die Datierung eines Zeugnisses von immenser Bedeutung, wenn es darum geht, die Identitätsentwicklung einer Person über einen längeren Zeitraum hinweg zu untersuchen. Generell ist der Umgang der Autorin mit dem Quellenmaterial als äusserst gewissenhaft zu bezeichnen. Die von der Struktur her ähnlich aufgebaute Gegenüberstellung der beiden Biographien führt zu mancher Parallele, zeigt jedoch auch eklatante Unterschiede auf. Während Julians Konversion zum Neoplatonismus mit einer Hinwendung zu den heidnischen Kulten verbunden ist, besteht für Synesios kein zwingender Widerspruch zwischen Philosophie und Christentum. Auch wenn T.-D. zu Recht auf das grosse Mass an Individualität und Flexibilität hinweisst, durch das sich Julian und Synesios auszeichnen, ist auffaellig, dass die individuelle Ausrichtung doch in einer gewissen Abhängigkeit zur jeweiligen Schule gestanden zu haben scheint.
Durch ihre gelungene Untersuchung gelingt es der Autorin eindrucksvoll, unsere Kenntnisse über Julian Apostata und Synesios von Kyrene um einige Facetten reicher werden zu lassen.
Notes:
1. Schmitt, T.: Die Bekehrung des Synesios von Kyrene, München 2001.
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