Reviewed by Jan Moje, Universität zu Köln (JanMoje@aol.com)
Das späte Ägypten mit all seinen multikulturellen und multilingualen Aspekten ist schon oft Gegenstand detaillierter Untersuchungen gewesen. Auch die Tagung 2005 in Trier des Projektes Entstehung und Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft im griechisch-römischen Ägypten im Rahmen des Trierer Sonderforschungsbereiches 600, die Anlass des vorliegenden Bandes war, ist diesem Thema gewidmet. Die Ergebnisse der Tagung wurden von Stefan Pfeiffer herausgegeben, der auch einen eigenen Artikel beigesteuert hat. Allerdings sind hier nicht von allen Teilnehmern Beiträge aufgenommen.
Der erste Artikel von Marc Rottpeter Initiatoren und Träger der 'Aufstände' im persischen Ägypten (pp. 9-33) beschäftigt sich mit den Widerständen, denen sich die persische Herrschaft in Ägypten ausgesetzt sah. Er analysiert sie hinsichtlich ihrer Ursachen und Auslöser. In erster Linie sind hierbei griechische Quellen von Nutzen, namentlich Herodot, Thukydides und Diodor.
Eingeleitet wird Rottpeters Aufsatz von einem historischen Überblick über die verschiedenen Unruhen während der Perserzeit nach den erhaltenen antiken Quellen. Im Anschluss analysiert er jeden einzelnen Aufstand hinsichtlich der Initiatoren sowie der Ursachen.
Zu den Trägern der Aufstände kann Rottpeter feststellen, dass es offenbar nie die Ägypter selbst waren, die sich gegen die Fremdherrschaft im eigenen Lande erhoben, sondern dass sie ihr vielmehr "eher leidenschaftslos gegenüberstand(en)" (p. 28). Hierzu verweist der Verfasser auf Strabon, der die Ägypter in der Römerzeit als militärisch ungefährlich einstufte, und überträgt dies auf die Perserzeit. Die wahren Verantwortlichen kann Rottpeter anhand der Quellenlage sicher unter den libyschen Fürsten sowie beim Delisch-Attischen Seebund ausmachen. Die Ursachen für die Aufstände sind hingegen weitaus unklarer. Der Verfasser ist der Ansicht, dass die Revolten stets im Zusammenhang mit einen Thronwechsel in Persien zu sehen sind, da zu diesen Anlässen auch in den anderen Satrapien Unruhen ausbrachen. Die Aufstände im perserzeitlichen Ägypten hatten also eigentlich nichts mit den Ägyptern selbst zu tun, sondern mit einer versuchten Sezession des Nillandes durch ausländische Mächte, die Ägypten für ihre eigenen Interessen nutzen wollten.
Rottpeter vermeidet weitestgehend den Begriff "Aufstand", da dieser seiner Meinung nach die Gefahr subjektiver Beeinflussung der Auswertung in sich birgt und verwendet daher den griechischen Begriff der Apostasis. Da aber dieser griechische Begriff auch vielschichtige Bedeutung besitzt, die heute vielleicht noch nicht alle klar erkannt sind, ist auch dieser Begriff meines Erachtens nicht völlig objektiv. Sowohl neue als auch in besonderem Masse die antiken Schriften sind immer Spiegelbild ihrer Zeit und der jeweiligen Interpretation. Man muss sich bewusst machen, dass Interpretationen historischer Ereignisse nicht völlig objektiv sein können.
Auch der zweite Artikel des vorliegenden Buches, Hilmar Klinkott über Xerxes in Ägypten. Gedanken zum negativen Perserbild in der Satrapenstele (pp. 34-53), hat die Perserzeit als Schwerpunkt. Bei ihm geht es jedoch um die synchrone Sichtweise der sog. Satrapenstele Ptolemaios' I. auf die Perser, besonders Xerxes I.
Die oft genannten Vorwürfe, Xerxes I. habe sich frevelhaft gegen die Religionen der unterworfenen Völker verhalten und damit eine Wende in der bisher recht toleranten persischen Religionspolitik eingeleitet, können nach den aussergriechischen Quellen nicht bestätigt werden. Klinkott geht der Frage nach, weshalb in der Satrapenstele ein so negatives Bild des Grosskönigs gezeichnet wurde, der auch als Herrscher der Satrapie Ägypten auftrat.
Das Dokument wurde von Ptolemaios I. in Auftrag gegeben. Dieser, in den Augen der Ägypter ebenfalls ein Fremdherrscher, musste zu Beginn seiner Herrschaft Ägypten unter Kontrolle bringen. So diente die Satrapenstele nach den Ausführungen von Klinkott sicher dazu, seine Akzeptanz durch die "betonte Abgrenzung gegen die Perser" (p. 48) zu stärken.
Alexander der Grosse in seiner Doppelrolle als Pharao und Priester ist Thema des Beitrages von Donata Schäfer (p. 54-74). Sie analysiert die Bautätigkeit des Makedonen in Ägypten mit Schwerpunkt auf den Tempeln der thebanischen Ostseite. Sie kann keine Hinweise feststellen, dass der Fremdherrscher Alexander in den von ägyptischen Priestern verfassten Inschriften negativ dargestellt wurde. Mit Recht weist Schäfer dabei auf die Schwierigkeiten einer zu modernen Sichtweise hin, andererseits war ein Pharao für den ägyptischen Kult unbedingt erforderlich.So ist der Autorin zuzustimmen, dass es für den ägyptischen Kult kontraproduktiv gewesen wäre, hätten die Priester ein schlechtes Bild ihres religiösen Oberhauptes entworfen.
Die Bautätigkeit Alexanders besonders in Theben-Ost zeigt, dass er sich bemühte, als legitimer Pharao anerkannt zu werden. Nur mithilfe der Priesterschaft und der Akzeptanz seiner Gottessohnschaft von Amun war Alexanders Herrschaft auf Dauer zu halten, zumal er selbst nicht plante, in Ägypten zu bleiben.
Im folgenden Artikel Antiochos IV. Epiphanes. Basileus und Pharao Ägyptens? Porphyrios und die polybianische Überlieferung (pp. 75-107) untersucht Andreas Blasius, ob der Seleukidenherrscher Antiochos IV. tatsächlich, wie von Porphyrios überliefert, in Ägypten zum Pharao gekrönt wurde. Zunächst bietet der Autor einen umfangreichen Überblick über die bisherige Forschungsdebatte, die noch zu keinem Ergebnis gelangen konnte, da keine schlüssigen, verifizierbaren Beweise vorgelegt werden konnten. Unter den antiken Autoren wird ansonsten noch bei Polybios, Diodor und Livius über diesen Herrscher berichtet, jedoch ist hier nirgends ein Hinweis auf eine Krönung zu finden.
Blasius legt eine fundierte textkritische Analyse aller relevanten Passagen dieser Autoren vor. Danach kommt er zu dem Ergebnis, dass ein eindeutiger Beweis der Krönung dabei nicht zu führen ist. Jedoch schliessen diese Textstellen aber auch nicht grundsätzlich eine solche aus, zumal Antiochos IV. sich gesichert wie ein König aufführte. Hier müssen nun weitere Quellen analysiert werden, was der Verfasser für eine Detailstudie ankündigt, die mit Spannung erwartet werden darf.
Mit Kultischen Loyalitätsformen im hellenistischen Vergleich beschäftigt sich Domagoj Gladic (pp. 108-139). Er untersucht speziell diejenigen Weihungen, die sich an einen Gott und zugleich einen Menschen -- den König oder eine Privatperson -- richten. Dabei handelt es sich um die Formel ὑπέρ mit Nennung des Begünstigten im Genitiv und folgendem göttlichem Empfänger im Dativ. Gladic bezeichnet die Phrase ὑπέρ + Genitiv als Begünstigungsformel. Diese ist typisch für Weihungen und führt "jede Art von Begünstigten" (p. 111) ein. Privatpersonen stehen dabei hinter den göttlichen Empfängern, während der König am Anfang der Formel zu finden ist. Gladic analysiert detailliert die verschiedenen Ausprägungen dieser Formeln, dabei berücksichtigt er auch die bilinguen Quellen speziell der Kaiserzeit.1
Zum Schluss verweist der Autor noch auf interessante Parallelen dieser Formel in babylonischen Texten.
Daniel von Recklinghausen liefert einen Beitrag über Anspruch und Wirklichkeit. Ptolemäische Beschreibungen der Stadt Theben (pp. 140-164). Theben war eine der Regionen, in der während der Ptolemäerzeit immer wieder Unruhen und Aufstände ausbrachen. Als eine der Ursachen wird oftmals der geistige Widerstand der thebanischen Priester angeführt. Diese Fragestellung ist dem vorliegenden Artikel zugrunde gelegt.
Der Autor stellt zunächst äusserst detailliert die verschiedenen quellensprachlichen Texte vor, in denen Theben erwähnt und beschrieben wurde. Dabei handelt es sich vornehmlich um sog. Monographien, die Charakteristika einzelner Orte beschreiben und in die lokalen Mythen eingliedern.
Er kann dann feststellen, dass das in diesen Quellen auftretende, mächtige und "göttergesegnete" Theben relativ wenig mit der realen zeitgenössischen Situation zu tun hatte. Die einstige Vormachtstellung dieser Metropole in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht war in der Ptolemäerzeit verloren gegangen, lediglich der religiöse Machtfaktor war nach wie vor präsent, wenn auch mit erheblich geringerer politischer Interaktion. Der Verfasser weist auf die konservative und "proägyptische" Haltung der thebanischen Priesterschaft hin, stellt andererseits aber heraus, dass diese auch Interesse daran hatte, mit dem neuen Herrscherhaus einvernehmlich zusammenzuarbeiten. Daher ist keine Entscheidung möglich, ob die Inhalte der Monographien die politischen Ambitionen der thebanischen Priester nachhaltig beeinflussten. Ich denke eher, dass das Verhalten der religiösen Amtsträger von Ambivalenz und Pragmatismus geprägt war, um die politisch wie kultisch doch recht schwierige Situation meistern zu können.
Stefan Pfeiffer publiziert im Anschluss eine Studie Zur Einquartierung von Soldaten des ptolemäischen Heeres. Rechtsgrundlagen, Konflikte und Lösungsstrategien (pp. 165-185). Die mit Land versehenen Soldaten der in Ägypten stationierten Besatzungsstreitkräfte und deren Familien bildeten die neue Oberschicht Ägyptens und genossen vielfältige Privilegien. Sofern keine anderen Wohnmöglichkeiten zur Verfügung standen, quartierte man die Soldaten bei den Einheimischen ein. Oftmals wurden diese Einquartierungen -- besonders zu Anfang der Ptolemäerherrschaft -- gewaltsam und ohne Einwilligung der ägyptische Hauseigentümer durchgeführt. Auch eine solche Praxis barg erhebliches Konfliktpotential, das sich auch in zahlreichen Prozessakten und ausführlicher Korrespondenz niederschlägt.
Diese Situation wird von Pfeiffer anschaulich durch zahlreiche Textbelege illustriert. Der Autor analysiert hier erstmals die vorhandenen Quellen im grösseren Zusammenhang. Briefe einiger Herrscher belegen, dass auch von dieser Seite aus an einer friedlichen Einigung aller Beteiligten gelegen war, um sozialer Unzufriedenheit vorzubeugen. Papyrologisch belegt sind zahlreiche Gesetzesregelungen, jedoch auch Beschwerden sowohl von ägyptischen Hausbesitzern als auch von fremden Söldnern.
Es gab recht schnell genaue Verordnungen, an die sich alle als gemeinsame Untertanen desselben Königs zu halten hatte. Dieses verordnete Zusammenleben bot Konfliktstoff, aber auch die Chance zu einem näheren Kennenlernen der neuen Nachbarn.
Am Schluss findet sich ein Beitrag von Heinz Heinen über Ägypten im Römischen Reich. Beobachtungen zum Thema Akkulturation und Identität (pp. 186-207). Er bietet einen knappen Überblick über die Geschichte Ägyptens zur Römerzeit. Mehrere, teilweise erstmals ins Deutsche übersetzte griechischsprachige Quellen erlauben einen sehr guten Einblick in die Bestrebungen der fremden Herrscher und Würdenträger, die ägyptischen Traditionen zu respektieren. Dies führte dazu, dass das kaiserzeitliche Ägypten von einen Durchmischung ägyptischer und griechischer Elemente und Traditionen geprägt war, von einer "gräkoägyptischen Identität der Gesamtbevölkerung" (p. 202), die aber weiterhin auf den Traditionen der pharaonischen Kultur basierte. Die nachhaltigste Störung dieser Kultur wurde durch das immer stärker ausgeprägte Christentum verursacht, das sich während des 4. Jahrhunderts n. Chr. durchsetzen konnte. Erst der Sieg dieser Religion bedeutete die endgütige Vernichtung der alten Kultur Ägyptens.
Abgeschlossen wird der Sammelband von einem ausführlichen Register und einem Textstellenverzeichnis. Am Ende sind 16 Tafeln mit Photographien der Reliefs des Alexandersanktuars in Luxor sowie des Pylons des Chonstempels von Karnak beigegeben, leider nicht immer in bester Qualität.
Es handelt sich bei vorliegendem Werk um einen lesenswerten Sammelband mit Beiträgen von durchweg sehr guter Qualität, die hochinteressante neue Ergebnisse, bemerkenswerte Denkanstösse oder umfangreiche Überblicke zu einem Thema liefern. Der zeitliche Rahmen und die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Artikel sind demgegenüber sehr weit gefasst, als gemeinsames Element haben sie lediglich die Thematik des Bandes über "fremde Herrscher in Ägypten". Wie das Buch zeigt, ist dieses weite Gebiet äusserst komplex und weist vielschichtigste Facetten und Forschungsmöglichkeiten auf, die hier nur partiell aufgezeigt werden konnten.
Notes:
1. Zu diesen "Doppeldedikationen" habe ich mich auch kurz in meiner Studie zur bilinguen Epigraphik geäussert: Sprachgebrauch und Sprachwahl in den bilinguen epigraphischen Zeugnissen der griechischen und römischen Zeit Ägyptens, unter besonderer Berücksichtigung des Demotischen, Kap. 3.1.5, erscheint im Rahmen der Endpublikation des Kölner Projektes Multilingualism and Multiculturalism in Graeco-Roman Egypt.
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