Monday, November 24, 2008

2008.11.27

Karl Christ, Der andere Stauffenberg: der Historiker und Dichter Alexander von Stauffenberg. München: Beck, 2008. Pp. 200. ISBN 9783406569609. €22.90.
Reviewed by Michael Hesse, Witten (sallustius-crispus@gmx.de)

Mit dem vorliegenden Band, seinem letzten, kurz vor seinem Tode fertiggestellten Werk würdigt Karl Christ, der am 28. März 2008 in Marburg verstorbene "Nestor der deutschen Althistorie" und "Pionier der Wissenschafts- und Rezeptionsgeschichte seines Faches"1 mit dem Historiker und Dichter Alexander Schenk Graf von Stauffenberg Leben und Werk des fast vergessenen "anderen Stauffenbergs",2 der obwohl er seit 1948 als Ordinarius für Alte Geschichte an der Universität München lehrte, durch alle ideologischen und disziplinären Raster fällt.3

Anders als seine Brüder war Alexander von Stauffenberg kein Tatmensch, sondern ein aristokratischer Intellektueller. Wie seine Brüder allerdings war er geprägt von der Figur ihres "Meisters" Stefan George - doch für den Dichter stand Alexander "an letzter Stelle seiner Stauffenberg-Jünger; er zog ihm Claus und Berthold eindeutig vor. Diese Erfahrung korrespondierte wohl in schmerzlicher Weise mit der Selbstwahrnehmung Alexander von Stauffenbergs im Verhältnis zu seinen Brüdern" (S. 29).4 In Anbetracht dessen, dass Alexander von Stauffenberg lebenslang George verpflichtet blieb ist Christs Darstellung Alexanders im "Banne Georges" denkbar knapp gefasst. Der Einfluss Georges und das Interesse an Aischylos bewogen Alexander, der sich eher als Dichter denn als Wissenschaftler sah, vom Studium der Rechtswissenschaft zur Altertumswissenschaft zu wechseln.

Ausführlich behandelt Christ das schmale historische Werk Alexander von Stauffenbergs mit einem Schwerpunkt des Interesses bei Sizilien und Pindar. Es wird aber nicht recht deutlich, wie genau er sich vor 1945 von der "rassischen" Geschichtsinterpretation einiger Kollegen unterschied. Auch sein Hauptwerk, "Trinakaria" von 1963, ist "Sizilien und Grossgriechenland in archaischer und frühklassischer Zeit" gewidmet.

Bei der offenbar aus persönlicher Anschauung Christs schöpfenden Darstellung der Münchner Jahre, in denen Alexander von Stauffenberg von 1948 bis zu seinem Tod 1964 den althistorischen Lehrstuhl der Universität München innehatte, hätte man gern mehr über das konfliktbehaftete Verhältnis zu Helmut Berve erfahren. Auch wenn Christ feststellt: " Er lebte nun einmal in den spezifischen Formen des Georgekreises, die einer rationalen, nüchternen Gegenwart fremd waren. Doch Stauffenberg war darin zu keinen Kompromissen bereit und blieb bei seinen oft genug geradezu provozierenden Formulierungen", begegnet uns Alexander von Stauffenberg als durchaus in Grenzen vernetzt. So waren die klassischen Philologen Friedrich Klingner, Rudolf Pfeiffer, der Historiker Siegfried Lauffer und der Anglist Wolfgang Clemen regelmässig Gast im Hause Stauffenberg. Der Gräzist Uvo Hölscher war ihm ein wirklicher Freund.

Ein im Anhang abgedrucktes persönliches Gespräch des Beck-Lektors Stefan von der Lahr mit Stauffenbergs Tochter Gudula Knerr-Stauffenberg vermittelt wichtige, die biographische Skizze Christs ergänzende Einsichten. So wird die bisher vorherrschende Meinung, Alexander sei in die Staatsstreichplanung nicht eingeweiht gewesen, durchaus relativiert.

Insgesamt hat Christ mit seiner einfühlsam gestalteten Studie diesem "anderen Stauffenberg" ein literarisches Denkmal gesetzt; da aber viele Aspekte dieser "hochkomplexen Persönlichkeit" nur angedeutet, nicht jedoch ausgeführt oder gar endgültig geklärt werden, bleibt eine umfangreichere wissenschaftsgeschichtliche Studie ein Desiderat.5

Die Bibliographie, ein Personenindex, das Stellenregister und zwei Tafeln beschliessen den Band, der nochmals vor Augen führt, wie Karl Christ die fachliche Kompetenz des Althistorikers mit der Einfühlsamkeit des Biographen6 verband und den Verlust des grossen Gelehrten um so schmerzlicher empfinden lässt.

Notes

1. Philipps-Universität Marburg: Lebensleistung von Karl Christ (1923-2008) gewürdigt.

2. Sein Zwillingsbruder war Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, sein jüngerer Bruder Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler verübte.

3. So war er in seinem Fach wegen seiner Treue zur Terminologie des George-Kreises ebenso ein Aussenseiter wie in einer westdeutschen Gesellschaft, in der seine Brüder zudem vielerorts noch als Verräter galten mit seiner für einen Mann in seiner Position unüblichen Kritik Adenauers, der westdeutschen Notstandsgesetzgebung und insbesondere der Wiederbewaffnung.

4. Elite galt im Georgekreis uneingeschränkt als positiv. Auch von daher vermitteln die Stauffenbergs Einsicht in ein Deutschland, das wohl unwiederbringlich verloren scheint.

5. Es wird beispielweise zwar deutlich, welch herausragende Rolle Alexanders Frau Melitta in der Familie hatte; ihr Bild bleibt aber merkwürdig farblos. Sicherlich stand auch Melitta in einem ungeheuren Gewissenskonflikt, lehnte, wie an ihrem langjährigen Einsatz als Testpilotin der Luftwaffe deutlich wird, Landesverrat ab und tat in der Erprobungsstelle der Luftwaffe in Rechlin am Müritzsee alles, um die kämpfenden Verbände zu unterstützen. Um die Verbesserungen der Sturzflugvisiere der Sturzkampfbomber zu kontrollieren, nahm sie mehr als 2500 Sturzflüge von etwa 4000 Meter auf 1000 Meter Flughöhe vor. An manchen Tagen absolvierte sie mehr als 15 dieser physisch sehr belastenden Sturzflüge und wertete sie aus. Noch am 1. Mai 1944 wurde Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg in den Vorstand der neugegründeten "Versuchsstelle für Flugsondergeräte" in Berlin-Gatow berufen und mit der technisch-wissenschaftlichen Leitung betraut. Damit die Luftwaffe auch nachts einmotorige Tagjäger gegen alliierte Luftwaffen einsetzen konnte, vollendete sie das von ihr entwickelte Nachtlandeverfahren für die einmotorige Nachtjagd in höchster Perfektion. Nach dem Attentat aus der Sippenhaft entlassen, setzte sie ihre kriegswichtige Tätigkeit nahtlos fort. Während der Verlegung ihrer Dienststelle vom gefährdeten Berlin-Gatow nach Süddeutschland wurde sie am 8. April 1945 beim Überführungsflug einer unbewaffneten Bücker Bü 181 von einem amerikanischen Jagdflugzeug bei Strasskirchen abgeschossen. Christ erweckt den Eindruck, Melitta habe ihren Mann mit diesem Flug aus der Lagerhaft befreien wollen; dies erscheint durchaus zweifelhaft.

6. Berührend und gut ausgewählt ist das Alexanders erster Ehefrau Melitta gewidmete Gedicht, das mit seiner Passage "Dann kam der tag undeutbar dunklen fluchs / Des bruders aufruhr wider alles niedre" (S.61) zum auf Anregung durch Ernst Kantorowicz entstandenen dichterischen Zeugnis der Ereignisse des 20. Juli 1944 gehört.

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